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Das Faktotum Tommy Wiseau, gespielt von James Franco, tritt in der Öffentlichkeit nie ohne Sonnenbrille und Frauen an seiner Seite auf.

© Warner Bros.

„The Disaster Artist“ mit James Franco: Der Vampir von Hollywood

Auch dem Schauspieler James Franco wird sexueller Missbrauch vorgeworfen. Nun startet seine Komödie „The Disaster Artist“.

Von Andreas Busche

Die erste Reaktion ist: Bitte nicht schon wieder. Schon wieder sieht sich ein Schauspieler, den man im Grunde ganz sympathisch findet, auch weil er sich in seinen Rollen selbst nie so richtig ernst nimmt (manchmal allerdings etwas zu wichtig), Vorwürfen der sexuellen Übergriffigkeit ausgesetzt. Und schon wieder steht man als Kritiker vor der undankbaren Aufgabe, über dessen neuesten Film zu schreiben. Bei der Verleihung der Golden Globes Anfang Januar strahlte James Franco noch, er war für die Hauptrolle in seiner Komödie „The Disaster Artist“ ausgezeichnet worden. Am Revers steckte gut sichtbar der „Time’s Up“-Pin. Noch während der Verleihung twitterte seine Ex-Kollegin Ally Sheedy kryptische Kommentare über Francos öffentliche Solidarität, in den folgenden Tagen beschuldigten ihn dann fünf weitere Schauspielerinnen des sexuellen Missbrauchs.

Es ist längst mehr als eine Chronistenpflicht, im Zuge einer Filmbesprechung auf Vorwürfe gegen Schauspieler und Regisseure einzugehen – so viel hat uns die „MeToo“-Kampagne in den vergangenen Monaten wenigstens gelehrt. Die Frage, welcher Hollywoodstar sich wie weit schuldig gemacht hat, müssen andere Instanzen klären, notfalls auch Gerichte. Was die Kulturkritik aber von „MeToo“ lernen muss, ist, den eigenen Blick neu zu prüfen. Kunst ist keine feste Größe, ihre Rezeption verändert sich permanent unter dem Einfluss des Zeitgeistes und gesellschaftlicher Debatten. Filme sind da keine Ausnahme. Gleichzeitig gibt es bei Schauspielern noch eine emotionale Dimension, auch „Starpower“ genannt. Das Kino ist ein Ort der Fiktion und der Suggestion, aber der Eskapismus hat auch Grenzen.

Franco spielt den egomanischen, unfähigen Filmemacher Tommy Wiseau

Wie also guckt man sich James Francos Film „The Disaster Artist“, eine Komödie wohlgemerkt, mit dem Wissen um die Vorwürfe gegen seinen Regisseur und Hauptdarsteller an? Franco war nach dem Shitstorm in den sozialen Medien auf Promotour durch einige US-Talkshows gegangen, und das Bild, das er in den Interviews abgab, war nicht dazu angetan, die Anschuldigungen der Frauen anzuzweifeln. Es waren schmerzhafte Fernsehauftritte, auch weil man Franco ansah, wie sehr er sich in seiner Wortwahl quälte. Man darf seine Worte keinesfalls als Schuldeingeständnisse werten, aber die Interviews ließen erahnen, dass Franco über ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein verfügt.

Und jetzt geht es in „The Disaster Artist“ ausgerechnet um einen Egomanen, der sich und seine Fähigkeiten als Filmemacher maßlos überschätzt, dem es an jeglicher sozialer Intelligenz mangelt und der die Filmcrew mit seinen Launen und Extravaganzen schikaniert. Klingt vertraut? Den Regisseur gibt es tatsächlich. Tommy Wiseau, gespielt von Franco, ist allerdings eher ein Faktotum der jüngeren Filmgeschichte: Laut Kritikern – und seinen Fans – hat er den schlechtesten Film aller Zeiten zu verantworten, die No-Budget-Komödie „The Room“ von 2013. Der Film genießt inzwischen Kultstatus: Outsider-Art als Pop-Phänomen, das auch über die Kinoleinwände hinaus in unzähligen Internet-Memes weiter existiert.

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Franco erzählt in „The Disaster Artist“ die Entstehungsgeschichte dieses Machwerks, dessen unfreiwilligen Humor und inkohärente Dramaturgie man nur im Vollrausch erträgt; aber auch das Porträt eines seltsam dysfunktionalen Zwangscharakters. Die dunkle Anziehungskraft von Wiseau, der im Film immer wieder als Vampir bezeichnet wird (und auch so rumläuft), wird im Spiel Francos, der sich vor allem an den Tics seiner Figur abarbeitet, allerdings kaum nachvollziehbar, dafür muss man wohl selbst schon ziemlich verzweifelt sein – so wie der gescheiterte Schauspieler Greg Sestero (James’ jüngerer Bruder Dave Franco), zu fragwürdiger Berühmtheit gekommen mit seiner Hauptrolle in „The Room“.

Post-ironische Selbstbespiegelung aus dem Herzen der Filmindustrie

Sestero und Wiseau lernen sich beim Vorsprechen kennen, das Wiseau mit einem raumgreifenden Monolog sprengt. Die beiden Minderbegabten gehen nach Los Angeles, sie träumen von Hollywood. Judd Apatow (ein nettes Cameo) ist es, der Wiseaus Traum zum Platzen bringt. Also überredet der Sestero, auf dessen Drehtagebuch „The Disaster Artist“ basiert, gemeinsam einen Film zu machen. Wiseaus finanzielle Ressourcen scheinen unerschöpflich, ein Running Gag – und bis heute ein Mysterium, das die Produktionsgeschichte von „The Room“ umgibt.

Es fühlt sich mulmig an, gerade jetzt Augenzeuge dieser post-ironischen Selbstbespiegelung aus dem Herzen der Filmindustrie zu sein; am Anfang des Films erklären sich Kollegen wie J.J. Abrams, Adam Scott und Kristen Bell zu Wiseau-Fans. Vor allem, wenn dann eine Szene in „The Disaster Artist“ ein ähnliches Szenario rekonstruiert, das die Schauspielerin Sarah Tither-Kaplan nun Franco vorwirft. Wiseau bespringt beim Dreh einer Sexszene seine Partnerin (frontale Nacktheit vor der Kamera war für Franco nie ein Problem), vergeht sich ungeschützt an ihr und macht sie dann vor der gesamten Crew fertig. Darf man die Szene als Indiz gegen Franco heranziehen? Sicher nicht. Aber sie trägt auch nicht zum Vergnügen des Films bei.

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