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Tilda Swinton (rechts), eine Jugendfreundin von Regisseurin Joanna Hogg, spielt in den „The Souvenir“-Filmen die Mutter des jüngeren Alter Egos der Künstlerin, welche wiederum von Swintons Tochter Honor (links) gespielt wird.

© Universal/Park Circus

„The Souvenir: Part II“ im Kino: Pastellig hingetupfte Erinnerungen

Kunst oder Leben: Honor Swinton Byrne ist an der Seite ihrer Mutter Tilda die Entdeckung in dem britischen Drama „The Souvenir: Part II“.

Zwei Songs rahmen in „The Souvenir: Part II“ die Entwicklungsgeschichte der Filmstudentin Julie: Nicos düstere Elegie „Sixty/Forty“ und der lebensumarmende Eurythmics-Hit „There Must be an Angel“. Schwer verwundet kehrt die junge Frau zu Beginn des Films in ihr poshes Elternhaus auf dem Land zurück. „Will there be another time/another wish to stay?“, fragt Nico mit ihrer heroingefärbten Grabesstimme in eine ungewisse Zukunft hinein. Julie (Honor Swinton Byrne, der Tochter von Tilda Swinton) steht unter Schock.

Am Ende von „The Souvenir“ (2019) stand der Drogentod ihres Lebensgefährten Anthony, einem Junkie, der sich bis zuletzt bemühte, die Sucht hinter dem Schein eines politischen Amts zu verstecken. „Part II“ nimmt die Erzählfäden nahtlos auf, entwickelt sich aber bald zu einem ganz und gar andersartigen Film.

Mit ihrer zweiteiligen Rückschau auf ihre eigene Studienzeit in London Anfang der 1980er Jahre erreichte die britische Autorenfilmerin Joanna Hogg erstmals eine größere Öffentlichkeit. Das aktuelle Interesse an autofiktionalen Erzählformen mag dabei sicherlich eine Rolle gespielt haben. Mit blassen, fast pudrigen Farben, die die Realität weit zurückliegender Ereignisse wie hingetupft wirken lassen, findet Hogg für die Erinnerungserzählung eine ganz eigene Sprache. „The Souvenir“ und „The Souvenir: Part II“ verbinden auf wundersame Weise Präzision und Mehrdeutigkeit.

Gleich mehrere Filme stecken in diesem aus verschiedenen Elementen komponierten Gewebe: das Porträt einer jungen Frau auf der Suche nach einer künstlerischen Stimme, ein Zeitbild der Thatcher-Ära, ein Drama über Ko-Abhängigkeit und Trauerarbeit, eine Reflektion über gesellschaftliche Privilegien, ein Film übers Filmemachen.

Sozialdrama oder doch lieber ein Musical?

In der Filmhochschule hat sich Julie im ersten Teil wenig blicken lassen. Die eigenen Ambitionen rutschten ihr im Strudel einer toxischen Beziehung immer mehr weg. Im zweiten Teil ist sie zurück, suchend und doch ungewöhnlich bestimmt. Während sie den Tod von Anthony zu verarbeiten versucht, Menschen trifft, die ihm nahestanden und ihre eigene Rolle in Therapiegesprächen hinterfragt, nimmt sie die künstlerische Arbeit wieder auf. Doch da, wo sie aufgehört hatte, lässt sich nicht anschließen.

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Um was es in der Kunst und im Kino wirklich gehen sollte: Darüber wird in „The Souvenir: Part II“ immer wieder teils kontrovers diskutiert. Soll man sein privilegiertes Umfeld verlassen und sich, wie Julie es anfangs vorhat, den prekären Lebensverhältnissen in einer nordenglischen Industriestadt zuwenden? Oder ist es nicht vielleicht zwingender, dem deprimierenden Nieselregen, der in gefühlt jedem britischen Film der Thatcher-Ära zu sehen ist, ein Musical entgegenzuschmettern, also ein Zuviel an Form, Farbe, Musik und Bewegung? Bringt einen der dokumentarische Realismus näher an die Wirklichkeit oder die Sichtbarmachung innerer Erfahrungen?

Einmal sitzt Julie ihren Filmdozenten gegenüber, um ihnen die Idee für ihren Abschlussfilm vorzustellen. Die Männer blättern ratlos in ihrem Drehbuch. Das Skript sei unprofessionell und unklar, habe nicht einmal einen richtigen Titel. Frustriert fragen sie sich, wohin denn die Welt verschwunden sei, deren Abbildung die Studentin anfangs noch zu ihrer dringendsten Aufgabe erklärt hatte. Eben diese Julie sagt jetzt: „I don’t want to show life as it plays out in real time. I want to show life as I imagined it.“ Darum gehe es doch im Kino.

(Im Kino fsk)

Auch wenn die Schule die Produktion von Julies Projekt ablehnt, kann sie es mit der finanziellen Unterstützung der Eltern doch realisieren. Eine Kommilitonin (Ariane Labed), die sie im Film als Alter Ego besetzt, meint einmal hinter ihrem Rücken, sie sei zu naiv, zu sensibel – und außerdem zu faul. Hoggs Filme, die im Herkunftsmilieu der Regisseurin situiert sind – der britischen Oberschicht – , kreisen auf subtile Weise immer wieder auch um Klassenprivilegien.

Der eigentliche Film, eine raffinierte Umschreibung von Hoggs tatsächlichem Abschlussfilm „Caprice“ (mit einer damals noch unbekannten „Matilda“ Swinton in der Hauptrolle, die nun wiederum Julies Mutter spielt), entfaltet sich schließlich als ein surreales Labyrinth aus Erinnerungen und Fantasien. „The Souvenir: Part II“ ist eine faszinierende Verschachtelung von Auto- und Metafiktion. Hogg zeigt, dass Erinnerungsbilder immer filmisch gedacht werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Imagination kondensiert in einer einfachen Gleichung: Art is Life.

Esther Buss

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