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Der dunkle Lord. Julian Casablancas von den Strokes ist ein zerrissener Mensch. Am Freitag trat die Band in Berlin auf.

© DAVIDS/Christina Kratsch

The Strokes in Berlin: Ach, leck mich

Halt mich fest, stoß mich fort: Auftritte der Strokes sind ein schizophrenes Vergnügen. Nun war die Rockband für ein exklusives Konzert in Berlin.

Wie gut die Strokes wirklich sind, zeigt sich daran, dass sie selbst ihren Sänger vergessen machen.
Julian Casablancas hat schon öfter durch sein beängstigend negatives Selbstvertrauen für eigenartige Kapriolen gesorgt. Bei dem exklusiven Berlin-Konzert der Band, das der Veröffentlichung ihres für April 2020 angekündigten Comeback-Albums, wenn es denn eines ist, vorausgeht, torkelt Casabalancas wie benommen über die Bühne, trifft den Ton nicht, scheint nicht zu wissen, was er da oben soll, und kennt nur zwei Gefühlslagen: kreischende Hysterie und nölenden Ekel.

„Yes, the heart beats in a cage“, singt er zum Auftakt über seinen – auch ihm selbst lästigen – Hang, sich fortwährend abzukapseln. Und einen Song später heißt es: „Bring mich zum Schweigen, und ich komme gut mit dir aus.“

Ja, die Musik der Strokes ist ein schizophrenes Vergnügen.

Ein letztes Aufbäumen

Vier Tage zuvor hat die Band bei der Siegesfeier von Bernie Sanders in New Hampshire für Aufsehen gesorgt, als sie zu den gehetzten Klängen von „New York City Cops“  die Bühne von begeisterten Anhängern des linken Präsidentschaftsbewerbers stürmen ließ. Das war ein lustiger Vorgriff auf die revolutionäre Stimmung, die sich das Anti-Trump-Lager von einem Siegeszug des alten Mannes verspricht. Und es passte zu den Strokes, die lange etwas Aufrührerisches besaßen. Nun scheinen sie nach sporadischen Festival-Auftritten im vergangenen Jahr und der Arbeit an ihrem sechsten Album „The New Abnormal“ langsam wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Von dem neuen Material präsentieren sie immerhin zwei melodienseligen Popsongs, doch beide hängen an gewagt dünnen Fäden.

Dass es das Quintett überhaupt noch in originaler Zusammensetzung gibt, ist ein kleines Wunder für sich. Vor zehn Jahren erschien ein letztes kreatives Ausrufezeichen unter Bedingungen, die vor allem für Casablancas Begleiter unerträglich waren. Denn der Sänger hatte es vorgezogen, seine eigene private Aufnahmesession in einem weit entfernten Studio durchzuziehen, von wo aus er seine Gesangsparts mit „vagen Anweisungen“ an den Rest der Band überstellte. So war „Angles“ der Verzweiflungsakt einer Band in Auflösung. Ein letztes Aufbäumen gegen das Unvermeidliche – zu schnell zu berühmt geworden zu sein. Mehr als ein paar krude Synthesizer-Experimente blieben davon nicht in Erinnerung.

Der gute Mensch vom East River

Nun, da es sogar fast 20 Jahre her ist, dass sie mit ihrem Debüt „Is This It“ eine Schneise durch die siechende Welt des Rock’n’Roll zogen und Inspirationsquelle für eine Generation an New Wave-Adepten wurden, drängt sich die Frage auf, woran die Strokes anknüpfen wollen.

Wer gehofft hat, auf dem Konzert in der Berliner Columbiahalle eine Antwort zu erhalten, dürfte enttäuscht sein. Es geht weder richtig wild noch besonders inspiriert zur Sache. Hits wie „Heart In A Cage“, „Reptilia“, „Last Nite“, und „Someday“ knallen zwar mit Verve durch die tobende Halle, wobei sich die prägnantesten Songs gegen Ende und in der Zugabe ballen, doch die stoische Verweigerung von Pomp und Gloria verpufft.

Casablancas hängt die meiste Zeit in einer schwarzen Lederjacke mit hochgestelltem Kragen am Mikrofonständer wie ein Trunkenbold an der Straßenlaterne, der darauf wartet, dass ihn seine Kumpel schultern. Sein notorisch derangierter Zustand ist bitter mitanzusehen. Weil man in solchen Momenten nicht erkennen kann, wie die Musik ihm aus seiner Falle heraushilft. Wenn er das Beste, was er (geschaffen) hat, nicht strahlen lassen kann, warum setzt er sich dem dann aus?

Von der Wutbahn abgebogen

Es gehört zum guten Ton, diesen Gestus als subversive Strategie zu verklären. Als gäbe es die kulturelle Übereinkunft noch, die mit den Worten Subculture und Indie verknüpft war. Die Strokes haben sich stets als Zu-spät-Gekommene darauf bezogen. Sie wissen also von keiner Übereinkunft. Und: Welche Missverständnisse sie betreffend gäbe es denn zu bekämpfen?

Ihr Status als Wegbereiter eines Gitarrenrock-Booms, der die Nuller Jahre geprägt hat, ließ sie nie müde werden, ihr kompaktes Vokabular weiterzuentwickeln. Statt ihr eigener Mythos zu werden, bogen sie schon mit "First Impressions of Earth" (2006) von der Wutbahn ab und überzeugten. Casablancas richtete seinen Blick – etwa in „Ize Of The World“ – auf die unsichtbaren gesellschaftlichen Zwänge, die aus einem interessierten Teenager bald darauf einen gelangweilten Erwachsenen gemacht haben.

Mit „Angels“ aber war der Band dann das deutlich angestrengte Bemühen anzumerken, ihre revolutionäre Energie mit möglichst vielen Querverweisen in die synthetischen Klänge des Indie-Pop abzusichern. Dass diese Phase live kaum Spuren hinterlässt, zeigt das Dilemma, in dem die Strokes stecken

Ihr Kern besteht aus Gitarren, die wie geladene Teilchen um ein leeres Zentrum kreisen, in endlose ,Dialoge' verwickelt, einander nie schonend. Wie der hagere Asket Nick Valensi und der hibbelige Lockenkopf Albert Hammond Jr. das auch am Freitagabend wieder machen, ist absolut betörend. Angetrieben von den fein abgezirkelten Beats des Drummers Fabricio Moretti im rosafarbenen Anzug schaffen sie ein Klima unaufhörlicher Anspannung, die sich in krachenden Passagen entlädt. Hier ist nichts auf den Refrain hin arrangiert. Das wäre zu billig.

Wenn Casablancas in einer Trennungsszene fleht, man möge ihn vergessen, er wolle es nicht schlimmer machen, als es ohnehin sei, scheint sich eine Herzensgüte zu zeigen, die „What Ever Happened?“ bis heute trägt und großartig macht.  Ein Jammer, dass ihm selbst nicht viel an diesem Charakterzug liegt.

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