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Theater: Am Abgrund, einen Schritt weiter

Kein Atem der Tragödie, manchmal nur der Furz der Farce. Die Schaubühne zeigt Ibsens "Borkman" als Kommentar zur Bankenkrise – mit Josef Bierbichler.

Zwei Depressionskomiker. Ein armer Buchhalter, der sein Leben lang mit einem ganz anderen Buch, einer leider noch immer unvollendeten Tragödie, nicht zu Potte kommt und für seinen früheren Boss, einen gescheiterten Finanzkapitalisten, in dessen Einsamkeit als letzte lebende Gesprächskulisse dient. Der Bankchef hat einst Millionen und sich ins Unglück gestürzt. Aber an seinen Wiederaufstieg glaubt er felsenfest verdrossen. Denn sonst, so sagt es als John Gabriel Borkman der Großschauspieler Josef Bierbichler mit einem winzig sarkastischen Unterton, „sonst hätte ich mich doch längst vor einen Zug geschmissen“.

So genau steht das natürlich nicht in Henrik Ibsens 110-jährigem Stück. Aber die Übersetzungbearbeitung des Berliner Dramatikers und Dramaturgen Marius Mayenburg suggeriert auch dem Begriffsstutzigsten noch die aktuelle Anspielung.Sie erntet bei der Premiere an der Berliner Schaubühne dezente Lacher.

Es beginnt ohnehin schon ganz schwermütig ambivalent, und kippt gleich weg ins ungefähr Komische: Zwei reifere Damen in keinem Salon, nein, in einem karg möblierten, nach hinten verglasten Bungalow-Wohnzimmer, eines fahlen Abends offenbar. Die eine ist Frau Gunhild, verkörpert von Kirsten Dene, statiös auf dem Sofa, die andere Frau Ella, aufrecht im dunkel eleganten Cape, dargestellt von Angela Winkler – und um beide, die sich just jetzt im düsteren Zwielicht zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder begegnen, kriecht weiß wabernd ein Bodennebel ins offenbar untraute Heim. Gott, soviel Bedeutungsschwere?, fragt man sich da.

Aber auf einmal stehen und sitzen die beiden Damen ohne Füße, ohne ihre schwarzen feinen Pumps im Raum, wie in Watte abgeschnitten. Sie haben buchstäblich mehr als nur den Boden unter sich verloren. Zwei verdüsterte Zwillingsschwestern in einem nördlichen Ibsen-Drama, erst auseinandergelebt, jetzt in giftigster Zwietracht vereint in ihrem Nibelheim. Bis sich der Nebel lichtet und erst zum Finale von Thomas Ostermeiers Inszenierung des „John Gabriel Borkman“ an der Schaubühne wiederkehrt.

Den Boden unter den Füßen verloren hat seit Jahren natürlich die Titelfigur. Herr Borkman war als Banker ein Magnat des Landes, dann ist er, der mit unterschlagenen Kundengeldern und kühnen, kriminellen Spekulationen „zum Wohle der Menschheit“ ein fabelhaftes Wirtschaftsimperium aufbauen wollte, einer Denunziation und akuten Kreditkrise zum Opfer gefallen. Entehrt und nach langer Gefängnisstrafe haust Borkman nun wie abgeschieden im Stockwerk über seiner Frau Gunhild, die er seit Jahren nicht gesehen hat. Dort über allen Nebeln und Niederungen träumt er von seiner Rehabilitierung und einem späten Endsieg. Ein Wirtschaftsführer ohne Macht im oberirdischen Bunker. Auf einer wie im Untergeschoss fahlweißen Isolierstation.

Modern ist, wie schon bei Ostermeiers früheren Ibsen-Erfolgen mit „Nora“ und „Hedda Gabler“, das einmal mehr vom Schaubühnenbildner Jan Pappelbaum entworfene Interieur. Und wieder telefoniert man hier drahtlos, und ein Bürgerkind des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt Klavier auf dem Keyboard. Mit Nora und Hedda, mit den unglücklich starken, revoltierenden Frauen funktionierte dieses Zeitversetzungspiel, diese inszenatorische Doppelbelichtung freilich viel zwangloser. Weil in Ibsens Heldinnen ein moderner Mythos überzeitlich fortlebt. Aber Borkman gestern ein Ackermann von heute? Man muss da im Kopf immer viel mehr hinzufügen, als auf der Bühne wirklich passiert.

Ostermeier & Mayenburg haben das alte Stück, in dem sich lauter unwahrscheinliche, seit Jahr und Tag nie stattgefundene Begegnungen an einem bleischweren Schicksalsabend ballen, derartig entschlackt und auf gut 100 Theaterkinominuten gebracht, dass sich Ibsens Schicksalsdramatik in eine streckenweise fast soap-reife Auftritts-Abtritts-Mechanik verwandelt. Sehr leicht- und nebelfüßig, aber, wenn nicht doch bedeutungsschwer, dann weitgehend grundlos. Abgrundlos. Als zum Beispiel Frank Castorf das Stück nach der Wende mal am Ost-Berliner Deutschen Theater inszenierte, da hatten Borkmans geplatzte Weltbeglückungsillusionen noch einen ganz anderen, konkreteren Echoraum.

Ibsen macht aus atridisch absoluten Tragödien akribisch relativierte, bürgerliche Trauerspiele; er verwandelt einen antikischen Göttersturz oder Familienfluch in einen moralischen Fehltritt, einen zivilen Karriereknick oder ein Gespinst vorfreudianischer Neurosen und tanten-onkelhafter Hysterien. Und dennoch bleibt bei Ibsen ein letzter Hauch von Mythos und Tragödie. Bei Ostermeier & Mayenburg ist’s nurmehr der Nebel und manchmal der Furz der Farce. Das stinkt schnell ab. Die Poesie ist hier die einer Pilcher-Geschichte, veredelt mit teilweise sehr guten Schauspielern und in einer cleveren Kino–Dramaturgie, die der Film aber viel leichter, authentischer kann.

Ibsen & Ostermeier, das heißt häufig auch, die Frauen sind, wenn nicht Heldenopfer, notorische Schreckschrauben, fatale Jungfern oder altbackene Vamps. Die jungen und mittleren Männer wirken daneben wie trockene Waschlappen oder dicke Weicheier. Letztes Genre scheint hier mausgrau Felix Römer als tragischer Borkman-Buchhalter Foldal zu bedienen und Sebastian Schwarz als Borkman-Sohn Erhard im Thorsten-Schäfer- Gümbel-Look. Sehr witzig. Die Aufbruchsrolle der Lady Fanny Wilton, die das Riesenbaby Erhard mit Sex, Geld und weiblicher Vernunft aus den Fängen der Desperate Housewifes Gunhild und Ella entführt, ist dagegen zur blassen Parodie zusammengestrichen (Cathlen Gawlich).

Bleiben die großen Drei. Kirsten Dene setzt als Gunhild ihre bravourös bissige, Thomas-Bernhard-erprobte Melankomik ein, unter einer schwarzen Cleopatraperücke ebenso virtuos wie routiniert. Ein wenig ungelenker und zugleich widersprüchlicher wirkt da in ihrem elegischen Harm Angela Winklers Ella: Sie spielt das Zickigste zugleich madonnenhaft und erfährt die seelengröbste Vergewaltigung noch als unbefleckte Empfängnis – um im nächsten Moment doch am Abgrund einer tieferen Untröstlichkeit zu stehen.

Nur Sepp Bierbichler ist ihr insoweit schon einen Schritt voraus. Ein längst Gefallener, aber nie Zerschellter. Sein Borkman: ein untoter Vitalist, eine lebensmüde Kämpfernatur. So absurd also, wie es Machtverrückte, Möchtergernweltbeglücker und karrieristische Egomanen im Grunde, im Abgrunde wohl immer sind. Auch setzt Bierbichler der Klippklapp-Mechanik, bei der alle Figuren immer nur aufs Stichwort (re)agieren, seine eigentümliche Langsamkeit, seine raubtierhaft lauernde Lakonik entgegen. Und jenen schalkbösen sturen Sarkasmus, der das Beste ist an diesem schnellen, freundlich beklatschten, zwiespältigen Abend.

Wieder vom 16. bis 18. und am 24. /25. 1.

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