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Wird in diesen Höhen die Luft auch schon dünn? Szene aus dem Gastspielabend „Boybands Forever“.

© Holger Fichtner/Semmel

Theater am Potsdamer Platz: Knaller und Rohrkrepierer

Das Mega-Musical ist tot und das Theater am Potsdamer Platz dadurch zur Gastspiel-Bude geworden. Was für eine Zukunft hat es im hart umkämpften Freizeitmarkt der Hauptstadt?

Die Zeit der Mega-Musicals wie „Phantom der Oper“, „Les Misérables“, „Tanz der Vampire“ oder „König der Löwen“ ist vorbei. Dauerbrenner, für die es sich lohnte, eigene Bühnen zu bauen. Auch das Theater am Potsdamer Platz wurde vor 19 Jahren in der Hoffnung hochgezogen, hier mit massenkompatiblem Melodrama richtig Geld verdienen zu können. Die Eröffnungsproduktion „Der Glöckner von Notre Dame“ wollte gleich ganz hoch hinaus. Doch so richtig rechnete sich das von Renzo Piano geplante 1750-Plätze-Haus auf die Dauer dann doch nicht. So manche Produktion lief nur mit mäßigem Erfolg, richtig Publikum zog zwar noch einmal das Udo-Lindenberg-Biografical „Hinterm Horizont“, doch im August 2016 war Schluss.

Stage Entertainment, der holländische Unterhaltungskonzern, der mit zehn privat betriebenen Spielstätten den deutschen Musical-Markt dominiert, zog die Reißleine. Weil keine Blockbuster mehr nachkommen. Das Risiko ist einfach zu groß geworden. Durch die Mega-Musicals ist die Erwartungshaltung der Fans unverhältnismäßig hoch, die Entwicklung großer Shows verschlingt bereits im Vorfeld enorm viel Geld. Seit ein Finanzinvestor die Anteilsmehrheit bei Stage Entertainment kontrolliert, werden die Budgets für Eigenentwicklungen zudem streng kontrolliert.

140 Mitarbeiter verloren ihren Job

Einfach Hits vom Broadway oder aus dem Londoner East End einzukaufen, ist mangels Masse derzeit keine Alternative. Die beiden großen Knaller der letzten Jahre in New York – „The Book of Mormon“ und „Hamilton“ – sind vom Sujet her so uramerikanisch, dass sie sich beim besten Willen nicht ins Deutsche übersetzen lassen. Und in Wien, wo die staatlich geförderten „Vereinigten Bühnen“ zwar regelmäßig neues Stücke herausbringen, ist gerade auch keine renditesichere Exportware zu haben.

Nach der brutalen Logik eines Wirtschaftsunternehmens machte Stage Entertainment das unrentable Theater am Potsdamer Platz also dicht. Obwohl der Vertrag mit dem Eigentümer Brookfields noch bis Ende 2022 läuft: Lieber Miete für ein leeres Haus zahlen, als mit einem halb vollen bei laufendem Spielbetrieb noch mehr Verluste machen. 140 Mitarbeiter verloren ihren Job, übrig blieb ein kleines Häuflein, das sich nun um die Untervermietung kümmert. Das Theater am Potsdamer Platz ist zur Gastspiel-Bude geworden, die jeder tageweise haben kann.

Zuletzt lief ein Boyband-Musical

Für Produktionen, die mit leichtem Gepäck reisen, ist das durchaus attraktiv. Bis Sonntag lief hier noch „Boybands Forever“, eine Show, die sich Thomas Hermanns ausgedacht hat. Im vergangenen Herbst kam die Hommage an die Jungs-Popgruppen der Neunzigerjahre in München heraus, das Hauptstadt-Gastspiel markiert den Beginn einer Tour durch 28 weitere deutsche Städte.

Ausstattungs-Pomp und technische Überwältigungseffekte braucht „Boybands forever“ nicht, um den Saal zu rocken, ein paar Dutzend Scheinwerfer, zwei Podeste und drei LED-Wände reichen. Weil der Abend, wie jede gute Show, von der Power der Darsteller lebt. Von den fünf unverschämt gut aussehenden Kerlen, die auch noch toll singen und tanzen können, und vom Showmaster Ole Lehmann. Dem hat Thomas Hermanns seine Gedanken zum Phänomen Boyband in den Mund gelegt: Gedanken, die von echter Begeisterung und ironischer Selbstreflexion getragen sind.

Die wirklich witzigen Moderationen machen es dem Publikum leicht, in die sentimentalen Abgründe früherer Teenie-Traumwelten abzutauchen und gleichzeitig über sich selber zu lachen. Über die irrwitzigen Outfits der Jungs, über die billige Erotik ihrer Wet-T-Shirt-Videos, über die Stereotypen, nach denen all diese Bands von „Take That“ bis zu den „Backstreet Boys“ zusammengestellt wurden, um den CD- und Konzertticketkäuferinnen ein Maximum an emotionalem Identifikationspotenzial anzubieten.

Da gab es immer den idealen Schwiegersohn, erklärt Ole Lehmann, dann den kumpeligen Bruder-Typ, den Süßen, den Gefährlichen – und noch einen weiteren, an den sich aber keiner mehr so richtig erinnern kann. Wie so ein fünftes Rad am Wagen wirkt derzeit auch das Theater am Potsdamer Platz innerhalb der hauptstädtischen Entertainmentszene: Da sind einerseits der Friedrichstadt-Palast, das Theater des Westens, der Wintergarten, der Admiralspalast, alles Häuser mit goldener Geschichte. Und da ist anderseits dieses Dings neben der Spielbank auf dem abends ziemlich toten Gelände zwischen Hyatt-Hotel und Shoppingmall. Ein trauriger, überdimensionierter Kasten mit 35 Meter hohem Dreiecks-Foyer, den keiner mehr braucht. Selbst die Berlinale nicht, wenn es tatsächlich etwas wird mit dem eigenen Filmhaus neben dem Martin-Gropius-Bau.

Die Stage Entertainment hat ihre Projekte übrigens inzwischen der Marktentwicklung angepasst: Gerade einmal 700 Plätze hat die Spielstätte, die das Unternehmen seit zwei Wochen in München betreibt. Auf dem Pfanni-Gelände am Ostbahnhof, das gerade zum Kreativquartier hochgejubelt wird, mit dem seit Jahrzehnten ersehnten Weltklasse-Klassikkonzertsaal als Ankerinstitution. Das alte Kartoffellager wurde für 5,2 Millionen Euro für den Musical-Betrieb fit gemacht, über zehn Jahre läuft der Mietvertrag.

Stage Entertainment besaß bereits eine derartige Ausprobier-Bühne

Zur Eröffnungsproduktion kam jetzt der Kinoknüller „Fack ju Göhte“ auf die Bühne, mit 16 Darstellern und fünfköpfiger Band, bewusst als Produktion mit Alternativszene-Appeal gestaltet. Sechs Monate soll das Stück laufen, für die Zukunft kann sich Unternehmenssprecher Stephan Jaekel auch vorstellen, dass in München sogenannte Tryouts stattfinden, Testversionen neuer Shows, die man auf Publikumswirksamkeit testet, bevor sie in die großen Häuser übertragen werden.

Genau so ein Ausprobier-Haus hatte Stage Entertainment schon einmal, in Berlin nämlich. Im Schlossparktheater lief damals zum Beispiel das großartige Off-Broadway-Stück „Pinkelstadt“. Doch die Lage erwies sich als unattraktiv, das Publikum fand den Weg nach Steglitz nicht.

Seither blickt der Konzern desillusioniert auf den hart umkämpften Freizeitmarkt der Hauptstadt. Nach dem Aus fürs Theater am Potsdamer Platz betreiben Stage-Entertainment-Häuser hier nur mehr die Blue Man Group und das Theater des Westens. Mal sehen, wie lange noch.

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