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Kultur: Theater aus Budapest: Die Lust, die Qual, der Tod

Spuren im weißen, feinen Sand - Spuren der Liebe. Aber ist es Liebe?

Spuren im weißen, feinen Sand - Spuren der Liebe. Aber ist es Liebe? Das Theater Mozgó Ház aus Budapest begibt sich auf eine bezaubernd sinnliche Suche nach dem, was Männer und Frauen einander zutreibt und wieder trennt, nach dem geheimnisvollen großen Gefühl also, das unbedingte Dauer will und Dauer nie erreicht.

"1003 Herzen, oder Fragmente aus einem Katalog von Don Juan" heißt das Spiel für acht Damen und drei Herren, in dem Schicksale von Liebenden vorübergleiten. Was wie eine Klage über den gescheiterten Versuch von Nähe und Vertrautheit anfängt, steigert sich zu einer gleichsam unendlichen, in Musik, Tanz und Poesie getauchten Erzählung über das Zusammenfinden und Auseinandergehen der Geschlechter, über die tausendfältigen Varianten entstehender und vergehender Liebe, über die Lust, die Qual und den Tod. Mozarts Musik bricht durch brutalere Geräusche immer wieder durch, die bekenntnishaften Texte, gesungen und gesprochen, stürmen alle lyrischen Himmel mit ihren heißen Glücksbekundungen und finster drohenden Anklagen.

László Hudi, der Regisseur, entwirft ein Gesamtkunstwerk. Er versucht sich an einem Kosmos der Gefühle, einer neugierigen, abenteuerlichen Menschenerkundung zwischen behutsamer Zärtlichkeit und rücksichtsloser Härte. Von den Frauen, in schneeweiße, prachtvolle Rokokogewänder gehüllt, geht alles aus. Sie leben ihre Geschichten, im Gehen, Wälzen, Tanzen durch den Sand auf dem über den schwarzen Bühnenboden erhöhten Spielkissen, und in der Begegnung mit Wasser, Feuer, Blut. Sie sind Leidende, Anklagende, Fordernde, aber auch glutvolle Persönlichkeiten, die Liebe wollen und leben, Gewalt erleiden und selbst auch zufügen. Sie tauchen geheimnisvoll aus dem Dunkel der Seitenbühnen auf, oder vor der großen Wand im Hintergrund mit ihren irritierenden Spiegelbildern. Die Männer, denen sie begegnen, sind nur noch Adressen für Sehnsüchte, für erotisches Begehren, für erwachende und vergehende Sinnlichkeit. Kindheit, Jugend, Hochzeit, Tod und Begräbnis sind in den Erinnerungen unlöslich miteinander verknüpft, aus dem Gedächtnis werden, unschuldig und unverschämt zugleich, körperliche Vorgänge geholt, nicht selten auch im Widerspruch zwischen "Bild" und rhetorischem Bekenntnis. Das seltsame Unberührtsein der bewusst steifen Männer, das gegen die reiche, überströmende Empfindsamkeit der Frauen gesetzt ist, ist Symptom für einen Mangel. Don Juan, welche Gestalt er auch annehmen mag, bleibt eben nur der Katalog, das Papier, die Materie, den Frauen dagegen ist hinreißend erfülltes, blutvolles Leben zugestanden, auch im Verlassensein.

Das Ensemble entwirft zauberisch anmutig die vielen Dramen der Liebe, behält das Leichte, Bewegliche auch, wenn es um zerstörerische Gleichgültigkeit, um die Qualen der Sexualität geht. Es gibt das Innehalten, das Nachdenken, das Verstummen, und auch einen Hauch von Ironie, wenn die Leidenschaft alles Vernünftige überrennt. Mozgó Ház, das von László Hudi 1995 gegründete ungarische Ensemble mit 15 jungen Theaterleuten zwischen zwanzig und dreißig Jahren, feierte mit diesen "1003 Herzen" wieder einen großen Erfolg in den sophiensaelen. Schon vor zwei Jahren war es mit der im Auftrag der Berliner Festspiele erarbeiteten Aufführung der "Tragödie des Menschen" von Imre Madach an gleicher Stelle zu Gast. Für diese aufsehenerregende Arbeit wurde dem Ensemble am ersten Abend seines Gastspiels zu den "Theaterwelten 2001" der Denis-de-Rougemont-Preis der Europäischen Festival-Vereinigung überreicht.

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