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Theater: Bestien im Depot

Wenn die Not groß ist: Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von 1931 mit Birgit Minichmayr am Wiener Akademietheater.

„Kultur oder nicht Kultur – Krieg ist ein Naturgesetz! Akkurat wie die liebe Konkurrenz im geschäftlichen Leben!“, postuliert Johann Adam Oests Zauberkönig im Trachtensakko. Seine Magie liegt allein im dämonischen Egoismus eines Kleinbürgertums, wie ihn Ödön von Horváth in seinem Volksstück-Klassiker „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von 1931 zwischen Walzer- und Heurigenseeligkeit schaurig zum Klingen bringt.

Unter der Larve des frömmelnden Vaters enthüllt Horváth, dieser Meister der Demaskierung, das Gewinnstreben einer männlichen Bestie, die die Tochter für die arrangierte Ehe zurichtet, ausbeutet und demütigt, um schließlich von ihrer Heirat zu profitieren. Mariannes gescheiterter Emanzipationsversuch besiegelt nur noch ihr Elend in der Unterwerfung. Und die Liebe selbst? Ein Tauschprodukt im Kampf der Geschlechter, wo Friede herrscht, wenn die Kasse klingelt. „Eine rein menschliche Beziehung wird erst dann echt, wenn man etwas voneinander hat“, sagt Alfred zu Valerie.

Es ist die Versachlichung menschlicher Beziehungen unter dem Primat der Ökonomie, die Horváths Gesellschaftsdiagnose so aktuell erscheinen lässt. Im Wiener Akademietheater hingegen wirken Horváths Figuren wie verstaubte Präparate vergangener Zeiten, eingepfercht zwischen gestapelten, dunklen Möbeln der 1930er- bis 1950er-Jahre. Der Tabakladen Valeries (Regina Fritsch im kurzen Tigerkleid) passt ebenso in einen Schrank wie die Auslage der Puppenklinik „Zum Zauberkönig“. Eine Lade dient als ärmliches Waschbecken und ein schmuckloser Sekretär als Kinderwagen.

Die Straßen Wiens und der Wiener Wald sind in Hugo Gretlers skulpturalem Einheitsbühnenbild in ein museales Möbeldepot verwandelt, die Donau zu einer Handvoll Wasser geronnen, das Marianne (Birgit Minichmayr) verspritzt, als sie aus den imaginären Fluten steigt. Als traurig-kärglicher Rest Natur erscheinen die schwarzen Palmen auf ihrem Badeanzug, während sie sich mit nassen Haaren auf einem hohen Kleiderschrank räkelt. „Was haben wir aus unserer Natur gemacht? Eine Zwangsjacke“, sagt Alfred (Nicholas Ofczarek), nimmt die geballten Hände aus den Hosentaschen, streichelt ihren Oberkörper, bis sie sich wie ein Äffchen um seine Hüfte schwingt. Wie ein fernes Feuerwerk verkünden ein paar bunt aufflackernde Lichter Mariannes soeben zerschlagene Verlobung.

Birgit Minichmayrs Marianne verschränkt die Arme hinter dem gekrümmten Rücken, unsicher und ein wenig bockig. In ihren weißen Söckchen, den roten Stöckelschuhen und dem grünen Kleidchen sieht sie aus wie ein zu groß gewordenes Kind: gewohnt zu gehorchen, hilflos, als ihr Verlobter Oskar (Johannes Krisch) sie mit ein paar Handgriffen zum Gaudium der Umstehenden zu Boden zwingt. Die Hände vor der Brust verschränkt und erhobenen Kopfes sieht sie später als Nackttänzerin im Varieté ihrem Vater (Johann Adam Oest) ins Gesicht: „Das kann ich mir nicht leisten, dass ich mich schäm.“ Sie spuckt auf den „lieben Herrgott“, um schließlich vernichtet auf allen Vieren dem Fleischermeister Oskar hinterherzukriechen. Bläulich leuchtet es aus dem geöffneten Schrank. Der Hafen der Ehe: eine Kühltruhe.

In der Regie des Schweizers Stefan Bachmann verflüchtigen sich Horváths verlorene Bestien jedoch zu harmlosen Hohlfiguren bar aller Sprachregie, erstirbt ihre Sprache wie Musik im schalltoten Raum. Denn anstatt in Horváths sezierenden (Schein-)Dialogen und seiner hoch artifiziellen Sprache den Jargon uneigentlichen Sprechens hörbar zu machen, aus dem ein zerstörungswütiges Unterbewusstsein an die Oberfläche drängt, beschränkt sich Bachmann auf ein statuarisches Szenenarrangement und ein kleines Repertoire von Gesten. Sie illustrieren nur oberflächlich die vitale Abgründigkeit der Horvàth’schen Figuren, die emotionale Ambivalenz Alfreds zwischen Verantwortungslosigkeit und echten Gefühlen oder gar den Bewusstseinsprozess Mariannes auf dem Weg in ein selbst bestimmtes Leben. Sozialer Abstieg und Verelendung, Wurzel der Entfremdung des Liebespaars, bleiben ebenso Behauptung wie die Ausgelassenheit einer Heurigengesellschaft mit Ziehharmonika.

Ohne Rhythmus und Atmosphäre, die das Unheimliche dieser Tragödie in der sentimentalen Banalität des Bösen erst zum Klingen bringen würden, erscheint dieser Abend wie die erste Stellprobe einer Inszenierung, der der Regisseur abhanden gekommen ist. Und das ist er schlussendlich auch: Bachmanns Abwesenheit beim Schlussapplaus begründete Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann offiziell mit seiner Erkrankung bei den Endproben. Dass auch das gesamte Ausstattungsteam der Premiere fernblieb, lässt freilich auf eine Epidemie schließen, deren Folgen auch Notregisseur Sven-Eric Bechtolf in einer einwöchigen Blitzkur nicht heilen konnte.

„Kultur oder nicht Kultur – Krieg ist ein Naturgesetz!“

Christina Kaindl-Hönig

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