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Theater: Bloß weg hier!

Farce ohne Boden: Marius von Mayenburg inszeniert David Gieselmanns "Die Tauben“ an der Schaubühne. Eine grelle Comedy-Hölle, in der die Schauspieler im Verlauf der knapp zwei Stunden immer passender die Umrisse ihrer Comic-Charaktere ausfüllen.

Kurz nach halb neun ist die Welt noch in Ordnung. Noch wurde auch kein Wort gesprochen, gebrüllt, geschmettert, gepiepst oder gesäuselt. Da sitzt das Knallchargen-Ensemble noch friedlich beieinander, im Schatten eines riesigen Plastikweihnachtsbaums, und singt, festlich gekleidet, ein Lied. Durch das Halbrund der Bühne schlängeln sich rote Designer-Sitzgarnituren, davor Glastische mit Champagnerflaschen. Schaubühnenbehaglichkeit, als wär’s ein Stück von Yasmina Reza oder Botho Strauß.

Aber natürlich ist dieses Bild nur ein Witz, ein Theaterzitat – wie so ziemlich alles in David Gieselmanns Stück „Die Tauben“, das vom Autor Marius von Mayenburg an der Schaubühne uraufgeführt wird. Die Figuren heißen zum Beispiel im Zweitnamen Libgart – wie die Schauspielerin Libgart Schwarz. Oder mit Nachnamen Voss wie der Schauspieler Gert Voss. Das Stück ist Teil einer „Trilogie des Verschwindens“, bei der man automatisch an Strauß’ „Trilogie des Wiedersehens“ denkt. Und nicht nur die Tauben im Titel lassen an Tschechows „Möwe“ denken, sondern auch der – soll man es so nennen? – Grundkonflikt. Robert Bertrand, Firmenbesitzer, Ehemann und Vater, will nämlich weg. Wohin? Egal. Einfach nur weg. Wie die „Drei Schwestern“, die einfach nur nach Moskau wollen.

Mit „Die Tauben“ gewann Gieselmann, der vor fast zehn Jahren mit der Farce „Herr Kolpert“ zu bescheidener Bekanntheit gelangte, den Komödienwettbewerb, den die Schaubühne unter dem Titel „Deutschlands missratene Kinder“ ausgerichtet hat – großzügig unterstützt durch die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen von „60 Jahre Deutschland. Annäherung an eine unbehagliche Identität“. Da hat man sich allerdings ein Ei gelegt. Denn statt an der sogenannten Deutschen Wirklichkeit reibt David Gieselmann sein Kalauerorgan nur ausgiebig an der Theatertradition (des Hauses). Alles nur geklaut. Und was macht ein Dieb, wenn er erwischt wird?

Er rennt, so schnell er kann. Das einzig Interessante an dieser Farce ohne Boden bildet die Strategie, mit der der Autor vor seinen eigenen grotesken Einfällen Reißaus nimmt. In dem er panisch immer noch eine Absurdität draufsetzt und schon nach zwei, drei Sätzen von einem zum nächsten Dialog springt, um deren Flachheit zu kaschieren und die Urteilskraft des Zuschauers durch Geschwindigkeit zu trüben.

Robert will also aussteigen aus seinem Erfolgsleben. Vorher überträgt er aber noch schnell die Verantwortung für seine Firma auf Mitarbeiter Holger Voss, der allerdings vom Chefsein nichts wissen will, weil er ein Nervenbündel ist und sich einbildet, gemobbt zu werden – wenn er nicht gerade von seiner wutanfälligen Frau Natalie zusammengestaucht wird. Das eingebildete Mobbing stellt sich dann doch schnell als reales heraus. Kollegin Heidrun betreibt das hinterhältige Spiel als Hobby. Die Ausgrenzung des einen stärke den Zusammenhalt der anderen, so ihre Rechtfertigung. Für ihr Treiben wird sie von Helmar bezahlt, dem karrieregeilen Sohn des Firmenbesitzers.

Außerdem mischen mit: Roberts Frau Gerlinde, die davon träumt, nach Ligurien auszuwandern, und ein gewisser Dr. Erich Asendorf, Psychiater mit schlechtem Namensgedächtnis, dem früher oder später alle ihr Leid klagen, wofür sie von ihm (zumindest die Frauen) konsequent beschlafen werden. Robert ist übrigens noch immer da, selbst als er endlich verschwunden ist. Nur heißt er jetzt Francois und spricht mit lustigem französischen Akzent. Aus dem Hamsterrad der Albernheiten, so möglicherweise die Message, gibt es kein Entrinnen.

Marius von Mayenburg inszeniert das Ganze als das, was es ist: als grelle Comedy-Hölle, in der immerhin Tempo und Übergänge stimmen und die Schauspieler im Verlauf der knapp zwei Stunden immer passender die Umrisse ihrer Comic-Charaktere ausfüllen. Judith Engel gibt die Ligurienträumerin Gerlinde als apathische Schöner-Wohnen-Leiche. Cathlen Gawlich leiht Mobberin Heidrun die Stimme einer Barbiepuppe und die Strenge einer Domina. Das wütend-herrische Aufstampfen von Eva Meckbach klingt irgendwie nach Temperament und Flamenco. Urs Jucker rumpelt den Verschwindenwoller Robert als groben Klotz über die Bühne, Sebastian Schwarz gibt den erotomanen Psychologen als Mischung aus Heinz Ehrhardt, Sir Peter Ustinov und Wuschelbär und macht auch als Elvis-Imitator eine gute Figur. Zwischendurch gibt es immer wieder sentimentale Gesangseinlagen, bei denen vor allem Eva Meckbach als Barbara-Streisand-Verschnitt mächtig Stimmung macht. Alles nur, um von der Handlung abzulenken.

Wieder am 11., 12., 27., 28. und 29. März

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