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Vor dem Feuer. Judith Hofmann (Jennifer) und Moritz Groove (Flynn).

© Eventpress

Theater: Böses Picknick

Jorinde Dröse inszeniert in den Kammerspielen des Deutschen Theaters "Schwarzes Tier Traurigkeit" - und geht dabei sehr vorsichtig an Anja Hillings Text heran.

Die großstädtische Kultur-Schickeria hat sich einen Wochenendausflug ins Umland gegönnt und wälzt am Grillfeuer schwerwiegende Probleme. „Lichtkünstler“ Oskar (Bernd Moss) zum Beispiel kann nicht verstehen, dass sein Model-Agenten-Freund Martin (Helmut Mooshammer) das Verfallsdatum der Grillwürstchen übersehen hat. Eine vergleichbare Katastrophe weiß nur noch Miranda (Natali Seelig) beizusteuern, die ihr Baby gerade zum Schlafen im VW-Bus abgelegt hat: Sage und schreibe dreizehn Kilo hat das Ex-Model während der Schwangerschaft zugenommen! Nun schwört Miranda hoch und heilig in die Runde, spätestens in sechs Monaten wieder Cover-fit zu sein. Der Sänger Flynn (Moritz Grove) gibt unterdessen im malerischen Abendrot eine ideale Projektionsfläche für spätpubertäre Herzschmerzfantasien ab. Kurzum: Die hippe Ausflugsgemeinschaft aus Anja Hillings Stück „Schwarzes Tier Traurigkeit“ könnte satter nicht sein, als sie sich nach Wein, Wurst und Gesang schließlich in der freien Natur schlafen legt.

In der Nacht aber bricht ein Feuer aus. Ein apokalyptischer Waldbrand, der aus gutsituierten Mittdreißigern und -vierzigern Überlebenskämpfer macht. Für jene, die Wochen später wieder in ihren Großstadtwohnungen und -jobs ankommen, wird danach alles anders sein. Die Fotokünstlerin Jennifer (Judith Hofmann) fotografiert nur noch tote Tiere und fällt ständig in Ohnmacht. Oskar kommt mit dem Schuldgefühl nicht klar, das Feuer wahrscheinlich verursacht zu haben. Der Architekt Paul (Harald Baumgartner) kapituliert vor seinen Verlusterfahrungen. Und Flynn mutiert vom Sympathieträger zum Katastrophengewinnler, als sich ihm – in Zusammenhang mit dem Brand – eine Karrierechance auftut.

Mit sprachlicher Präzision schildert die 35-jährige Dramatikerin Anja Hilling – in der Fachzeitschrift „Theater heute“ zu Recht zur „Nachwuchsdramatikerin des Jahres 2005“ gekürt – diesen Mittelschichtsalptraum. Gerade, weil Hilling so pathosfrei am konkreten Gegenstand bleibt, eröffnet ihr Text angenehm undidaktische Abstraktionsspielräume.

Drei Jahre nach der weithin als unglücklich eingestuften Hannoveraner Uraufführung nimmt sich nun die 34-jährige Regisseurin Jorinde Dröse „Schwarzes Tier Traurigkeit“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters vor. Und zwar so vorsichtig, dass man momentweise geneigt ist, von Nicht-Regie zu sprechen.

Im ersten Teil versammelt Dröse zwar vor bunten Blumentapetenbahnen (Bühne: Anne Ehrlich) noch eine Picknickgesellschaft im Wald, die zwischen freundlichem Identifikationsangebot und unsympathischem Snobismus changiert. Aber die Momente individueller Figurenzeichnung, die sich hier andeuten, sind ab dem zweiten Teil passé. Die gesamte, von Hilling beklemmend minuziös geschilderte Brandpassage löst Dröse in einer installativen Schwarz-Weiß-Videosequenz auf. Mit dem Ergebnis, dass sich der Abend in Richtung Hörspiel bewegt und die persönlichen Tragödien austauschbar wirken. Da droht – der erstklassigen Textvorlage zum Trotz –, das Interesse an den Figuren zu schwinden. Das ändert sich leider auch im dritten Teil nicht, wenn die Überlebenden rußverschmiert auf der nunmehr leeren Bühne zwischen aufgehäuften Plastikplanen an der Rückkehr in den Alltag scheitern.

Schade, dass Jorinde Dröse, die bis dato eigentlich nicht durch Interpretationsscheu aufgefallen ist, hier so wenig ausdeutungs- und differenzierungsfreudig zu Werke geht. Da wirkt der Text, der tatsächlich die Chance geboten hätte, sich über das Alltägliche und Durchschnittliche hinauszuheben, merkwürdig verkleinert.

Nächste Vorstellungen: 11.6., 20.30 Uhr und 16.6., 20 Uhr

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