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Alles Banane. Marius von Mayenburg führte Regie bei seinem eigenen Stück. Hier eine Szene mit Robert Beyer (re.). Foto: Joachim Fieguth

© Joachim Fieguth

Theater: Die Festgenagelten

Hysterische Lehrer, fanatische Schüler: Die Uraufführung von Marius von Mayenburgs überdrehter Bildungsfarce „Märtyrer“ in der Schaubühne.

Großstadtpädagogen zu schocken, gehört zu den schwereren Übungen. Mit Pubertätsmätzchen und Drogenkonsum sind die Erzieher in Marius von Mayenburgs Stück „Märtyrer“ jedenfalls nicht hinterm Ofen hervorzulocken. Die Weigerung des Schülers Benjamin Südel allerdings, am Schwimmunterricht teilzunehmen, sorgt selbst bei den hartgesottensten Bildungsprofis für Schockstarre. „Ich hab es satt, mit benebelter Schwimmbrille zwischen die sich öffnenden Schenkel von Melanie zu starren und vom weißen, wippenden Fleisch geblendet zu werden, das aus Stefanies Bikini rutscht“, lässt der junge Mann in aufgeregtem Tonfall und mit dünnem Pferdeschwänzchen bei der Aussprache verlauten. Minuten später beschließt der pädagogische Rat, die Schülerinnen fortan in hoch geschlossenen Badeanzügen schwimmen zu lassen, um Benjamins „religiöse Gefühle“ nicht zu verletzen.

Wie ein aufgeklärter, antiautoritärer Lehrkörper an einem eifernden Schüler scheitert, das könnte zu einer astreinen Farce werden. Der Sportlehrer Dörflinger (Sebastian Schwarz) feixt beim Stichwort „Bikini“ lüstern in sich hinein und bläht den Bauch unter der Trillerpfeife. Direktor Batzler (Robert Beyer) wird durch die Sportkleidungsdiskussion daran erinnert, dass auch die Biologielehrerin Erika Roth (Eva Meckbach) ein Geschlecht hat. Und Benjamins Mutter Inge (Judith Engel) gibt den Antitypus des Prenzlauer-Berg-Klischees. „Ich bin seine Mutter, es ist normal, dass er zu mir nichts sagt“, brüllt sie die Vertrauenslehrerin an. „Aber Sie haben eine Ausbildung, Sie werden dafür bezahlt.“ Wie diese mit wenigen Strichen skizzierten Reißbrettkameraden herumrudern, Vorfälle kleinreden und sich wegducken, als Benjamin dazu übergeht, ausschließlich – und besonders gern in wenig frauenfreundlichen – Bibelzitaten zu sprechen, kann man sich vorstellen.

Es gibt allerdings Verdachtsmomente, dass Marius von Mayenburg mehr wollte, als eine Tragikomödie aus dem Pädagogenmilieu zu schreiben. Und zwar nicht nur, weil das Programmheft voller Beiträge über Wahn, Adoleszenz und Fanatismus ist. Sondern auch, weil Benjamin einen gehbehinderten Mitschüler (Moritz Gottwald) als Jünger gewinnt, mit dem er ein Attentat auf die Biolehrerin plant. Die wiederum entwickelt im Dienste der Aufklärung selbst fanatische Züge und wird für ihre Kollegen zum Feindbild.

Für dieses brisante, von der Grundkonstellation her sicher nicht schlecht gedachte Thema bleibt Mayenburgs Personal allerdings zu holzschnittartig und unterkomplex. Die Handlung driftet grundsätzlich in die am nächsten liegende Richtung, die Dramaturgie wirkt für ein realistisches Stück zu unplausibel und für eine Farce zu brav. Der Autor, der bei der Uraufführung in der Schaubühne selbst Regie führte, hatte offenbar große Schwierigkeiten, sich für ein Genre zu entscheiden. Während Bernardo Arias Porras den religiösen Eiferer Benjamin mit todernstem Tonfall und leidend emporgezogenen Augenbrauen spielt, macht sich sein Kollege Sebastian Schwarz als Sport- und Geschichtslehrer mit Wampen-Training und Heulattacken über seine Figur lustig.

Eva Meckbach spielt die passionierte, fesche Biologielehrerin mit täuschend echtem, „unkonventionellem“ pädagogischen Engagement, bevor sie sich mit den Füßen auf dem Boden des Lehrerzimmers festnagelt und so endlich aus der Realo-Rolle herausfallen darf. Ansonsten liegen freiwillige und unfreiwillige Komik an diesem Abend dicht beieinander. Was da eigentlich ganz genau stattgefunden hat, vermag man gar nicht zu sagen.

Wieder am heutigen Freitag sowie am 5. und 24.3., 20 Uhr.

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