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Best Ager. Charles Brauer, G. P. Wöhler, Nina Hoger und Tatja Seibt auf dem Programm des Berliner Schlossparktheaters.

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Theater: Die Kunst geht auf den Boulevard

Große Kunst hier, Kommerz und Comedy dort - diese Unterscheidung gilt nicht immer und überall. Privattheater und Staatstheater wechseln mitunter die Rollen. Beispiele aus Hamburg und Berlin.

Eben dachte man noch, Boulevard und Privattheater, das heißt vor allem: Kommerz und Comedy, während die große Kunst im viel reicheren, durch Subventionen abgesicherten Stadt- und Staatstheater seinen Platz hat. Eine Mischung von beidem wie im Londoner West End, wo Spitzenschauspieler auch in ambitionierten, provokativen, neuen Stücken auftreten (meist allerdings ohne provozierende regieliche Reibungen), das findet in deutschen Großstädten kaum einmal statt.

Natürlich war Peter Zadek, der aus England zurück nach Deutschland kam, bisweilen solch ein Mischlingsgenie, solch ein Bastardkünstler. Mit Revuen und Reeperbahnabstechern. Beispielsweise im Hamburger St. Pauli Theater. Dort, in einem wunderschön schäbigen Theaterfreudenhaus, regiert seit Jahren so seriös wie erfolgreich der Regisseur Ulrich Waller, der davor schon zusammen mit dem Schauspieler Ulrich Tukur die privaten Hamburger Kammerspiele geleitet hatte. Und am heutigen Dienstagabend hat im St. Pauli Theater unter Wallers Regie O’Neills Trinker-Elegie „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ mit einer wahrhaft einschlägigen Besetzung Premiere. Mit Ben Becker, David Bennent, Gerd Böckmann, Angela Schmid und Anne Weber – ein Ensemble, mit dem viele hochsubventionierte Stadt- und Staatstheater nur mit einiger Mühe wetteifern könnten.

Das ist eine Momentaufnahme. Aber eine exemplarische. Im Berliner Schlossparktheater, das vor einem Jahr der Kabarettist und Impresario Dieter Hallervorden übernommen hat, will man im nächsten Jahr durchaus programmatisch Samuel Becketts „Warten auf Godot“ spielen. Man denkt, ein moderner Klassiker.

Doch halt! Als vor bald 60 Jahren, nur einem Wimpernschlag der Weltgeschichte, der französische Regisseur Roger Blin in Paris nach unendlich vielen Absagen schließlich ein Theater fand, das dieses fast handlungslose Stück eines noch unbekannten irischen Autors aufzuführen wagte, riskierte die mutige Kleinkunstbühne namens „Babylone“ den Bankrott. Und einem Teil des Publikums erschien das Drama tatsächlich als babylonische Sinnesverwirrung. Trotzdem wurde Becketts „Godot“ ein Welterfolg, und West-Berlins Schauspielintendant Boleslaw Barlog holte das Stück zur deutschen Erstaufführung 1953 zwar noch nicht auf die große Bühne des Schillertheaters, doch spielte man im Steglitzer Schlossparktheater. Begleitet von Protesten in fast jeder Vorstellung.

Heute wird nun per Werbung und Wikipedia die Legende verbreitet, Beckett habe sein Stück dann selber in Steglitz inszeniert, was er freilich 1975 im Haupthaus im Schillertheater tat. Dennoch zeigt es Courage, dass Hallervorden an die Beckett-Tradition an diesem Ort, der nach der Schließung des Schillertheaters 1993 künstlerisch gut anderthalb Jahrzehnte verwaist schien, als Privattheaterdirektor anschließen möchte. Die „Godot“-Aufführung kommt vom (gleichfalls privaten) Hamburger Ernst-Deutsch-Theater, wo Charles Brauer und Werner Rehm (einst bei Peter Stein an der Berliner Schaubühne) das Duo Wladimir und Estragon bilden und Uwe Friedrichsen Pozzo ist.

Becketts Stück beginnt mit der Szenenangabe „Eine Landstraße“. Wird daraus nun der moderne Boulevard? Es ist jedenfalls ein Indiz, dass die alten Ungleichungen, hie hohe Kunst, dort seichte Unterhaltung, nicht mehr so glatt aufgehen. Es gibt Schauspieler und Zuschauer, die mit bestimmten Formen des postdramatischen Fragment-Theaters, mit Stück-Dekonstruktionen statt darstellenden Interpretationen als Dauerlösungen nicht zufrieden sind. Diesen Konflikt, der keiner mehr ist, zwischen eitler Rampenschau und avantgardistischer Kühnheit, keiner auch nur zwischen Kunst und Kasse oder Regietheater und Nichtregietheater (jedes Theater braucht Regie!), diesen Konflikt hat Peter Zadek vor seinem Tod wohl am deutlichsten bezeichnet.

Von der hier nur angedeuteten Polarität profitieren jetzt die Privattheater, in Berlin etwa auch das Renaissance-Theater, das sich spätestens, seit man die tolle Schaubühnen-Inszenierung von Yasmina Rezas „Kunst“ übernahm, bemüht, einen Hauch West End einzufangen.

Vielleicht schafft es auch Hallervorden, an der Steglitzer Peripherie wieder zum kleinen Magnet fürs Zentrum zu werden. Das alte US-Erfolgsstück „Am Goldenen See“ von Ernest Thompson, dessen Verfilmung einst mit Henry Fonda und Katherine Hepburn drei Oscars gewann, ist dort, wieder in Koproduktion mit dem Hamburger Ernst-Deutsch-Theater, als aktueller Hit noch bis Dezember zu sehen. Charles Brauer (früher „Tatort“- Kommissar und Akteur schon bei Kortner, Gründgens und Tabori), Tatja Seibt (einst Schillertheater), Nina Hoger und der Erzkomödiant Gustav Peter Wöhler tanzen da auf allen Wellenlängen von Witz, Sentiment und liebevoll schonungsloser Beobachtung des Älterwerdens.

Die Jüngeren können dann in den hübsch aufgefrischten Foyers des Hauses nicht nur legendäre alte Aufführungsfotos bewundern, sondern auch Autografen von Liz Taylor, Fellini, Alexander von Humboldt, Hildegard Knef und Gerhart Hauptmann. Die Mischung macht’s.

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