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Theater Rois

© dpa

Theater: Dienstmädchen-Dämmerung

Berlin in Wien: Luc Bondy triumphiert mit Jean Genets "Zofen" bei den Festwochen.

Fünfhundert wohlanständige Damen der Gesellschaft sitzen im Theater und beobachten fasziniert, wie auf der Bühne zwei Dienstmädchen in Abwesenheit der gnädigen Frau in deren Sachen wühlen, deren Abendroben tragen und deren blasierten Tonfall imitieren. Empört sind sie sich einig: Ja, genau so ist das Personal!

Die Beobachtung stammt von Jean-Paul Sartre, dem berühmten, auch erdrückenden Biografen von Jean Genet, und sie sollte dazu dienen, die imaginäre Spielebene von dessen Einakter „Die Zofen“ von 1947 zu fassen: Der Albtraum der Damen kreuzt sich mit dem Traum der Dienerinnen, Herrinnen zu werden. Am Kreuzungspunkt führen Claire und Solange, die beiden Zofen von Genet, ihr Phantomleben. Sie bilden, sagt Sartre „die dämmrige Garde der bürgerlichen Familien“.

Die Formulierung ist zu schön, um mit ihr nicht eine Betrachtung von Luc Bondys Inszenierung der „Zofen“ zu eröffnen, die gerade bei den Wiener Festwochen gefeiert wird. Ihre Dämmerung hat die gezeigte Welt des verspäteten Adels ja schon hinter sich, sogar in Wien, umso sinnfälliger bietet sich, wenn der rote Samtvorhang aufgeht, das dämmrige, filmrealistisch gebaute Interieur eines bourgeoisen Schlafzimmers im Stil der Nachkriegsmoderne dar. Zentral eine Tür mit Treppenabsatz und schmiedeeisernem Geländer. Eine Anrichte mit Stehlampe und holzgeschnitzten afrikanischen Figuren, die die sexuellen Fantasien der gnädigen Frau verraten. Ein mächtiger, verspiegelter Kleiderschrank. Rechts die große braune Bettcouch der Abwesenden, mit zerwühlten Laken. Ein Schnurtelefon, ein Transistorradio.

Wären da nicht die zwei überlebensgroßen Fotoporträts an den Wänden, rechts ein glänzender schwarzer Männerkörper, eine schwule Ikone wie von Mapplethorpe, links Edith Clever, das Bildnis der Schauspielerin als weiche, erblühte Frau, es könnte der Filmset eines Chabrol oder Fassbinder sein (der ja in seinen „Bitteren Tränen der Petra von Kant“ Genets „Zofen“ paraphrasiert hat). Kaum zu glauben: Dieser Raum stammt von Bert Neumann, dem Meister der Sperrholzästhetik von der Berliner Volksbühne, die die Inszenierung koproduziert hat. Auf die Gesichter der weiteren Berliner Gäste, der „schrecklichen Schwestern“ Caroline Peters und Sophie Rois, muss man aber noch eine Weile warten.

Die Ouvertüre hat Bondy nämlich umkomponiert. Nicht Genets harter, doppelt „falscher“ Beginn: Claire in Rolle und Kostüm der gnädigen Frau, dazu Solange als Claire, sondern Peters und Rois, die zu einem feierlichen Geige-KlavierStück im Halbdunkeln tanzen, innig, in Dessous. Nur wenn man genau schaut, erkennt man, dass Claire als gnädige Frau eine geschnitzte afrikanische Maske trägt. In der nächsten Sequenz räkeln sich die beiden Schwestern lasziv-erotisch im Bett der Herrin, als suchten sie die imaginäre Verschmelzung. Erst dann konturiert sich das Rollenspiel: Claire im Abendkleid, Solange als der Putztrampel mit Kittel und Gummihandschuhen, zusätzlich von Sophie Rois mit rotzigem österreichischen Anklang aufgeraut.

Wie Kampffische im Aquarium betreiben die zwei ihr allnachmittägliches Ritual, bis der Anruf des Liebhabers der gnädigen Frau es unterbricht. Die Schwestern haben ihn durch anonyme Briefe des Diebstahls bezichtigt. Jetzt meldet er, er sei wieder aus dem Gefängnis entlassen.

Panisches Aufräumen und Spurenbeseitigen. Dann: Auftritt der gnädigen Frau, die von ihrem Glück noch nichts weiß. Langsam, wie ein Phantom schleppt sie sich herein, unkenntlich unter ihrer Vermummung: Reiterkappe aus Leopardenfell, Pelzcape, Stiefeletten, Sonnenbrille. Enthüllt, ist sie eine weißblonde Diva: Edith Clever als die Garbo. Erschöpft sinkt sie aufs Bett, das mit Gladiolensträußen bedeckt ist. „Ist das hier eine Gruft?“, grollt sie dunkel-cleverhaft. „Sind das hier nicht Friedhofsblumen?“

Die verwitwete Frau hat einen frustrierenden Tag im Gerichtsgebäude verbracht, wo sie den Liebhaber nur von Ferne zu Gesicht bekam. Sein überlebensgroßes Bild an der Wand kann sie nicht trösten. Aber ist er überhaupt real, jener Mann, von dem sie behauptet, sie würde ihm selbst noch in die Strafkolonie von Guayana folgen? Und wie „gnädig“ ist diese Frau, die Solange im Kleiderschrank kieksend an die Wäsche geht? Die drei sind ohnehin, wie der kluge Sartre bemerkte, alle Alter Egos ihres Schöpfers Jean Genet, das Ganze ein Monodrama für drei Stimmen. Und hat sich der Poète maudit Genet, der sich in der Rolle des Verbrechers und Homosexuellen stilisierte, nicht drei junge Männer als Darsteller gewünscht?

Bondy hat diese Besetzungsvariante nicht erwogen, zu Recht, denn man hatte im Jahr 2000 in Wien zuletzt die „Fummelversion“ mit den großen Schauspielern Gert Voss und Ignaz Kirchner am Charley’s-Tante-Effekt scheitern sehen. Mit unnachahmlicher, unschuldiger Herablassung spielt die große Clever, einst Berliner Schaubühnen-Star, gegenüber den Mädels von der Volksbühne die Gute, und es ist delikat zu sehen, wie sich zwei Theaterkulturen achtungsvoll und neugierig beschnuppern.

Nachdem die gnädige Frau dem Mordanschlag von Claire traumwandlerisch entging, entschwindet sie zu ihrem Liebhaber. Der Showdown gehört den Schwestern. Hier hat Bondy wieder umkomponiert: Am Ende stehen nicht Claires Selbstmord und Solanges ergebenes Warten auf die Polizei, sondern ein Tanz der Schwestern, wie zu Beginn. Dunkel umfängt sie. Und wieder wird sich der rote Vorhang öffnen zum höllischen nächsten Mal.

Caroline Peters und Sophie Rois nehmen an diesem Abend, so scheint es, lustvoll Urlaub von der harten Volksbühnen-Realität, die – sei’s bei Frank Castorf, sei’s bei René Pollesch – nicht den Schutz der gepflegten Verabredung und der vierten Wand kennt, sondern immer rüder, unberechenbarer Nahkampf mit Partner und Publikum ist. Kein Einwand? Manchmal wünscht man sich vielleicht, René Pollesch hätte für diese „Zofen“ ein Intermezzo geschrieben, in dem die drei Damen als „Caroline“, „Sophie“ und „Edith“ das wunderschöne, narkotisierende Schauspiel für ein paar Minuten brachial mit einem Diskurs-Feuerwerk über Genet unterbrächen. Das Stück würde das glänzend überstehen. Im September kommen die „Zofen“ ins Berliner Repertoire am Rosa-Luxemburg-Platz.

Andres Müry

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