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Theater: Geometrie des Widerspruchs

Es rieselt: Dostojewski in der Schaubühne

Der Auftakt zu Dostojewskis fünf großen Romanen und eine Reise in den Ekel über sich selbst: Nietzsche war begeistert von dem Kurzroman „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Ein Mann, der früher in einem Amt gearbeitet hat, lebt seit Jahrzehnten zurückgezogen in einem Kellerloch, steigert sich in die Selbstverachtung hinein, die übergangslos in die Beschimpfungen der anderen übergeht. Kränkungen, gegenseitige Erniedrigungen, der Austausch zwischen Ich und den anderen war offenbar zu einer reinen Sache der Macht verkommen. Einige Szenen mit Freunden in einem Lokal schäumt der Monolog an die Oberfläche, ein Besuch im Bordell, wo ihm eine bemitleidenswertes Geschöpf namens Lisa begegnet, das er nur zu sich nach Hause lädt, um sie dort zu brüskieren, zu zerstören.

Alles Gesellschaftliche ist Konvention. Doch auch das Gegenteil, der Versuch, ins sogenannte echte Leben vorzudringen, schafft Schmerz und Leid, das der Erzähler mit autoaggressivem Grimm genießt. Vor knapp zehn Jahren hat Martin Wuttke dieses existenzielle Fieber in Neuhardenberg als charmant-lässiges Roadmovie inszeniert, während an der Schaubühne in der Fassung des isländischen Regisseurs Egill Heidar Anton Pálsson vom Wahn nur eine Art Geometrie des Widerspruchs übrig bleibt.

Klar, es hat eine gewisse Logik, der Zerrissenheit der Figur durch ihre Vervielfältigung zu begegnen. Statt nur einer Hauptfigur, bewegen sich nun vier weitere Abspaltungen, Leib gewordene kommentierende Stimmen oder was auch immer über die aseptisch weiße Spielfläche von Magda Will um Thomas Bading herum – Lea Draeger, Ulrich Hoppe, Urs Jucker und Thomas Wodianka. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, schieben wiederholt mit schmerzhaftem Kratzen Hocker von rechts nach links, spielen melancholisch Akkordeon oder tragen Pelz, damit man merkt, dass das Ganze in Russland spielt.

Statt die Sprünge im Text nachvollziehbar zu machen, das Hin und Her aus Selbstanklagen und Schuldzuweisung, entsteht ein konturloser Klangteppich, ein steriles Pingpong, dessen einschläfernde Belanglosigkeit von dem Schnee, der aus dem Schnürboden rieselt, unfreiwillig verstärkt wird. Von Fieber, Rausch und existenziellem Ringen (oder dem ironischen Spiel mit dem Pathos) kann bei Thomas Bading keine Rede sein. Er absolviert die Höhen und Tiefen der labilen Psyche eher wie ein rechtschaffener Bergsteiger, der nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Zwei und zwei ist vier, wurde am Anfang auf die Fläche gepinselt. Am Ende wird aus der vier eine fünf. Theater nach Zahlen.

Wieder am 19. 12. sowie am 4. und 5. 1.

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