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Theater: Heinrich in der Puppenstube

Zum Ende des Kleist-Jahres: Andreas Kriegenburg versemmelt das „Käthchen von Heilbronn“ im Deutschen Theater Berlin.

Missmutig kaut Heinrich auf dem Federkiel herum. Die Schreibstube ist komplett mit Entwürfen gepflastert: Hunderte eng beschriebene Zettel hängen an der hölzernen Bühnenrückwand. Heinrich kaut, schaut in die Luft, sinkt aufs Pult nieder, greift sich endlich ein Leibchen – und hat schließlich den rettenden Einfall: „Das Gretchen von Heilbronn“, platzt der Schauspieler Alexander Khuon heraus, nachdem er das Leibchen auf seinem Gesicht geparkt und ausgiebig inhaliert hat.

Heinrich kann von Glück sagen, dass er über fünf Kollegen – ebenfalls alles Heinriche – verfügt, die ihn vor einem drohenden Plagiatsprozess bewahren. Aufgeregt wedeln die Heinriche mit dem roten Buch eines nicht unbekannten Zeitgenossen, schütteln energisch die Köpfe und ballen die Hände zur – Achtung – Faust. „Gretchen geht nicht!“ Also: „Käthchen!“

So beginnt Andreas Kriegenburgs Kleist-Inszenierung „Das Käthchen von Heilbronn“ im Deutschen Theater Berlin, die das Ritterschauspiel mit der Biografie des Autors kurzzuschließen versucht und zu diesem Zweck einen sechsfachen Heinrich von Kleist im historisierenden Kostüm durch die vom Regisseur selbst entworfene Schreibstube berserkern lässt. Wir wohnen, so die Behauptung, der Geburt des „Käthchens“ aus dem Geiste des Kleist’schen Traums bei.

Abgesehen davon, dass es für diesen Zugriff ein legendäres Vorbild gibt – Peter Stein ließ 1972 „Kleists Traum vom Prinzen Homburg“ spielen – ist es mit fremden Köpfen so eine Sache. Zumal mit solchen, die uns bis heute überlegen sind. Wie es in ihnen aussieht, so viel ist nach den exzessiven Inszenierungsfeierlichkeiten des zu Ende gehenden Kleistjahres klar, bleibt hochspekulativ.

Andreas Kriegenburgs Spekulationen zufolge kommen in Kleists Traum neben dem Leibchen viele verschiedene, recht pittoreske Puppen vor. Mal versteckt sich Alexander Khuon hinter einer mannshohen Ritterrüstung, dann wieder leiht Judith Hofmann einer putzigen Pappmaché-Kameradin ihre Stimme, die Käthchens Nebenbuhlerin Kunigunde von Thurneck darstellen soll, während Barbara Heynen sich im Hintergrund rasch das Leibchen überstreift und als Käthchen herself wagemutig an der steilen Wand herumklettert. Dann, plötzlich, eine Schrecksekunde. Der sechsfache Heinrich sackt unisono in sich zusammen und zitiert einen Brief an seine Halbschwester: „Ulrike, schick’ bitte Geld!“ Ist der Augenblick durchlitten, greift sich Markwart Müller-Elmau ein neues Püppchen, schiebt seine großen Hände durch die dafür vorgesehenen Kleiderschlitze und intoniert verhältnismäßig fröhlich die hinterhältige Kunigunde.

Als Zuschauer hat man schnell begriffen: Nicht nur Autoren-, sondern auch Regisseursköpfe sind rätselhaft. Über die Frage, wer hier gerade wen, womit und warum spielt, darf drei Stunden lang spekuliert werden. Ähnlich wie das symbolschwere Leibchen lassen die sechs Akteure, neben den Genannten Elias Arens und Jörg Pose, die Parts von Käthchen, ihrem Vater und dem Grafen Wetter vom Strahl, den die titelgebende Teenagerin auf Schritt und Tritt verfolgt, munter reihum gehen. Jeder darf mal. Hauptsache, es kommt kein Identifikationsverdacht auf.

Abgesehen davon, inwiefern man das Konzept des multiplen Heinrichs für fruchtbar hält, schlägt Kriegenburg daraus erstaunlich wenig Kapital. Tatsächlich multipliziert er eher als zu differenzieren. Die berühmte Szene, in der Graf Wetter vom Strahl das Käthchen unterm Holunderbusch verhört, findet in drei Parallelkonstellationen statt, und alle erzählen dasselbe: Khuon und Müller-Elmau halten Mini-Figürchen auf einem Puppentheater fest, Heynen und Arens hängen nebeneinander an der Wand, Hofmann und Pose klemmen einander züchtig befingernd in der Bühnenecke.

Kriegenburgs „Käthchen“-Inszenierung, die schon im Frühjahr Premiere feiern sollte, dann aber krankheitsbedingt aufs Jahresende verschoben werden musste, hat eine Art unfreiwilligen Finalcharakter zum Kleist-Jahr 2011. Allerdings steht nicht zu befürchten, dass zur nächsten Gelegenheit – etwa 2077 zum 300. Geburtstag – kein unerschlossenes Potenzial im Kleistschen Kopf übrig wäre. Vieles wurde probiert. Eine Offenbarung war nicht dabei. Kriegenburgs Regie-Kollege Jan Bosse hatte „Das Käthchen von Heilbronn“ letzten Monat im Berliner Maxim Gorki Theater bei seinem Versuch, dem Ritterspektakel den Pathos zu nehmen, allzu sehr in Richtung Klamauk getrieben. Der junge Regisseur Antú Romero Nunes verhedderte sich mit einem durchaus ambitionierten Versuch in der Kleist’schen Dialektik der „Familie Schroffenstein“. Und die Performancegruppe She She Pop kochte „Die Marquise von O.“ auf sehr kleiner Ohnmachtsflamme neu auf.

Immerhin kam zum Abschluss des Kleistjahrs endlich mal wieder Leben in die heiligen Hallen. Zur Pause von Kriegenburgs „Käthchen“ ließen sich aus dem Rang deutliche Buhrufe vernehmen, was angesichts der Tatsache, dass es kaum noch öffentliche Unmutsäußerungen im Theater gibt, dann doch für die Vitalität des Genres und seiner Zuschauer spricht.

Wieder am 20. u. 26. Dezember sowie am 3., 8. und 19. Januar.

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