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Berliner_Ensemble

© Lieberenz

Theater: Hi, Fisch!

Außergewöhnliche Ideen, hervorragende Schauspieler, donnernder Applaus. Wie Robert Wilson die heilige deutsche „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble zelebriert.

Was hat das Theater, was andere Medien nicht haben? Machen wir es uns einmal leicht und führen keine Grundsatzdiskussion über die bösen Mächte des Marketing oder die Rückkehr der steinernen Klassiker. Schauen wir, wie Robert Wilson am Berliner Ensemble das Problem mit dem „reitenden Boten“ zum Finale der „Dreigroschenoper“ löst.

Bei Brecht und Weill ist das eine bombastische parodistische Nummer, eine Umkehrung der Verhältnisse von Arm und Reich. Und was macht Wilson, von dem schon Heiner Müller sagte, er fühle sich von ihm besser verstanden als von jedem anderen (politisierenden) Regisseur? Er schenkt Walter Schmidinger einen Zwei-Minuten-Auftritt. Schmidinger aber ist kein reitender, sondern ein schreitender Bote des Königs, der Macheath am Galgen begnadigt. Nein: Schmidinger ist, wie er an der Rampe aufragt mit meterlanger purpurroter Schleppe, selbst ein König. Ein närrischer Monarch, ein Zauberkönig! Und um dies tableau vivant, wie wir es reichlichst von Wilson kennen, drapiert sich ein Schmidinger-roter, gar nicht Drei-Groschen-, vielmehr Drei-Millionen-Opernvorhang, und ein Applaus bricht los, wie man ihn lange nicht erlebt hat.

Bejubelte Schauspieler

Der Jubel gilt, das hat sich zuvor in manchmal zähen, langgedehnten drei Stunden bereits angedeutet, den Schauspielern. Das eben ist es, was nur Theater vermag. Und was im Theater kaum einer so wie Robert Wilson schafft: den zerbrechlichen Moment des Schauspielers zelebrieren, in aller Würde, in aller Dramatik – und Komik.

Er gilt als Chefdesigner, internationaler Bühnen-Jetsetter, als einer, der Stücke eher ausstattet als inszeniert oder interpretiert. Das Verdikt des Dekorativen und Oberflächlichen hat schon seine Berechtigung. Nur trifft es nicht den Kern der Wilson’schen Vorstellungswelt, wie diese „Dreigroschenoper“ in seltener Klarheit zeigt. Robert Wilson ist ein grandioser Schauspieler-Führer und Verführer. Er liebt die älteren Mimen, aus deren Erfahrungsschatz er schamlos zu schöpfen versteht, er weckt in ihnen eine kindliche Spiellust.

Schmidinger also. Und Angela Winkler. Ihre Jenny ist ein flirrender Geist, eine verloren umherirrende Seele, die in ihre Songs hineinhorcht und -flüstert. So entrückt hat man den „Salomon-Song“ auch noch nicht gehört. Und Jürgen Holtz: ein Peachum mit Nosferatu-Fratze. Er ist hier der Haifisch mit den Zähnen. Aber auch ein trauriger chinesischer Clown. Holtz ist in einer bestechenden Form; als Buttler in Peter Steins „Wallenstein“-Marathon. Als Bettler-Boss, der jederzeit die Szenerie beherrscht. Der Peachum-Polizeichef-Dialog lässt sich als Paradebeispiel einer leichten, intelligenten Brechtschule betrachten. Wie diese Menschen sich verkrümmen, blitzschnell umschalten, einander übervorteilen – das hat fast schon wieder Noblesse. Axel Werner als Tiger Brown – spindeldürr, zittrig wie ein Blatt im Wind – profitiert ungemein von Wilsons Technik.

Die "Dreigroschenoper" gehört zum Allerheiligsten

Und dann, kaum greifbar, dieser Macheath. Eine irritierende Erscheinung. Stefan Kurt, blond onduliert. Geklont aus deutschen Schauspielerikonen: Marlene Dietrich, Hans Albers, Gustaf Gründgens. Eine glitzernde Larve. Ein Wiedergänger. Die Galgenszene, ein Zitat aus der Uraufführungs-Inszenierung von 1928 im Theater am Schiffbauerdamm, später Berliner Ensemble. In Berlin gehört die „Dreigroschenoper“ zum Allerheiligsten und ist zugleich ein unerschöpflicher Quell von künstlerischen Katastrophen, wie letztes Jahr im Admiralspalast. Ausverkauft ist noch jede „Dreigroschenoper“ fast immer, ganz egal, was der Haifisch-Zahnarzt sagt. Für Robert Wilson wird sie zum historischen Heimspiel.

Keine andere Epoche hat ihn so nachhaltig inspiriert wie die zwanziger Jahre. Wilsons Theater: immer schon, immer noch spätexpressionistisch, surreal. Im Orchestergraben arbeiten die Musiker (unter der Leitung von Hans-Jörg Brandenburg) wie ein leicht verstelltes Uhrwerk. Das Treibend-Getriebene der Kompositionen von Kurt Weill kommt da überdeutlich hervor. Oben auf der Bühne paradieren die Typen zackig-aufgezogen, ziehen Fratzen ins Parkett; Wilsons ewiger Slapstick erklärt sich am besten aus dem (deutschen) Grotesktanz einer Valeska Gert zum Beispiel.

Und aus dem Stummfilm. WilsonAbende laufen ab wie silent movies, die nachträglich mit einer Tonspur versehen und koloriert worden sind; sattes Grün, kaltes Blau. Klirrende Soundeffekte, Comic-Ästhetik.

Diese „Dreigroschenoper“ wirkt wie eine idealtypische Arbeit des bald 66-Jährigen. Ins Schmuckkästchen des Berliner Ensembles stellt er einen melancholischen Revue-Tingeltangel. Als Brecht die „Dreigroschenoper“ schrieb (und schreiben ließ von den Frauen seiner Factory), eröffnete in Coney Island der berühmte Vergnügungspark, der jetzt von Spekulanten zerstört wird. Brechts Prekariat aber sieht bei Wilson wie ein Puppenspiel aus, und irgendwann stellt man sich schon die Frage, mag sie auch noch so typisch deutsch sein: Wo bleibt das Politische?

Keine Prekariats-Performance

Es bleibt in den immer etwas zu eng sitzenden Vampirsanzügen des Jacques Reynaud stecken, der auch diesmal wieder die Kostüme für Wilson entworfen hat. Die Politik aber war schon 1928, bei der Geburt dieses berühmtesten neuzeitlichen deutschen Stücks, mehr Stichwortgeber als schwerer Inhalt. Brecht und Weill besaßen die Unverschämtheit, sich über die pathetische Behandlung der sozialen Frage lustig zu machen. Die Menschen werden beschissen, bitte schön, macht was!

Es wäre schon sehr verwunderlich und eine Riesenüberraschung gewesen, wenn Wilson eine Prekariats-Performance hingelegt hätte, Hartz IV statt Mackie-messerscharfer Herzensbrecherei. Umwerfend erotisch ist diese „Dreigroschenoper“ schließlich auch nicht, man steht vor einem seltsamen Phänomen. Große, wunderbare Schauspieler sind da zu sehen, die Weill-Songs sitzen, wackeln und haben genügend Luft, ein Erfolg kündigt sich an.

Doch das Ganze ist dann doch zu sehr Gesamtkunstwerk auf mittlerer Betriebstemperatur. Nicht heiß, nicht eisig – wie einst „Dantons Tod“, Wilsons Büchner-Inszenierung am BE, als einem bei den Monologen über das Fatale und die Sexualität das Blut gefror. Und wenn man schon an Büchner denkt: Wo ist das Messer hier, das Schneidende, der brutale Witz, der in Wilsons „Woyzeck“ stets aufblitzte?

Die Geschichte von Macheath und seinen Mädchen wird märchenhaft dahinerzählt, eher mechanisch bewegt als bewegend. Die „Dreigroschenoper“ bleibt ein Desiderat, zumal in Berlin. Wann hat man sie einmal so erlebt, wie es der Mythos verheißt? Das ist es auch, was Theater von allem anderen unterscheidet: Das Alte soll sich vor den Augen der Zuschauer permanent verjüngen. Wilson hat aus einem alten Hut ein fettes Kaninchen mit Haifischflossen gezaubert. Das Publikum lässt sich den Braten schmecken.

Wieder heute und vom 13. bis 15. 10.

Rüdiger Schaper

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