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Treff für Expats. Autor Maxwell Flaum, Theaterleiter Günther Grosser, Wettbewerbskuratorin Pip Swallow und Regisseurin Erika Hughes im English Theatre Berlin. Foto: DAVIDS/Darmer

© DAVIDS

Theater: Meine erste Apokalypse

Das English Theatre hat einen Wettbewerb für Zehn-Minuten-Stücke veranstaltet. Nun zeigt es die fünf Sieger. Ein Schnelldurchlauf.

Ort der Handlung: ein Krankenhaus. Im Bett: ein Dramatiker, der von einer mysteriösen Krankheit befallen wurde. Wir sehen nur seine Füße unter der Decke hervorlugen. Das letzte Stündlein hat geschlagen. Während es mit dem armen Mann zu Ende geht, beginnen sein Katheter und der Kotbeutel, sich zu unterhalten. Darüber, wer dieser Kerl im Koma eigentlich war. Wie viel Zeit ihm noch bleibt. Was aus ihnen selbst wird, wenn sie erst im Klinikmüll gelandet sind. Welche Hoffnungen und Pläne sie noch hatten. Was ein Katheter und ein Kotbeutel – auf Englisch sehr viel klangvoller: Shitbag – eben so reden, wenn der Tag lang wird. Ach so, vielleicht sollte man noch erwähnen, dass die beiden mit New Yorker Akzent sprechen.

Das Stück, das dieses überaus vielversprechende Setting entwirft, heißt „My First Apocalypse“ und stammt von Maxwell Flaum. Er ist einer der fünf Finalisten der Ten Minute Play Competition, die das English Theatre Berlin (ETB) bereits zum dritten Mal veranstaltet. Belohnt werden die Sieger mit einer Inszenierung am Haus.

Das Genre dieser Zehn-Minuten-Stücke ist im angelsächsischen Sprachraum schon lange etabliert, es wird in der amerikanischen College-Theater-Szene ebenso gepflegt wie an britischen Off- Westend-Bühnen, etwa dem Londoner Finborough. Das ideale Format für angehende Dramatiker, „die sich ausprobieren wollen, aber für den großen Wurf noch nicht bereit fühlen“, findet Günther Grosser, der künstlerische Leiter des ETB. Oder für solche, die bereits ein paar Stücke geschrieben haben, sich aber nicht durchsetzen konnten. Warum nicht mal die kleine Form versuchen?

Die Regeln des Wettbewerbs, den sie an der Kreuzberger Fidicinstraße ins Leben gerufen haben, sind einfach. Die Stücke müssen auf Englisch verfasst und bislang unaufgeführt sein. Sie dürfen nicht mehr als zehn Seiten umfassen und höchstens vier Schauspieler vorsehen. Und die Verfasser sollten in Deutschland leben oder längere Zeit hier gelebt haben. „Uns geht es in erster Linie um die Autorenförderung“, sagt Grosser.

Über 80 Einsendungen hatten sie in diesem Jahr, beim ersten Mal 2010 waren es nur rund 30, unter denen eine Fachjury fünf auswählte. Das Thema hieß damals „Bei mir bist du strange – English in daily German life“. Eins der Siegerstücke verballhornte eine Rede des vormaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, dessen Englisch ja Kultstatus genoss. Der zweite Jahrgang stand unter dem Motto „Brave Near World“, gesucht wurden Utopien und Dystopien. Was die meisten Teilnehmer zu düsteren Fantasien über soziale Netzwerke inspirierte, die krakenhaft außer Kontrolle geraten. Diesmal lautete die Vorgabe schlicht: „The First Time“.

„Tatsächlich hat niemand über den ersten Sex geschrieben“, amüsiert sich Pip Swallow, die Kuratorin des Wettbewerbs. Sie stammt aus Belfast, ist ausgebildete Schauspielerin und hat zuletzt zehn Jahre in London gelebt. Das Spektrum der Debüts reichte „vom ersten Mord zum ersten Fahrrad bis zur ersten Begegnung mit einem Hieronymus-Bosch-Gemälde“.

Für den Amerikaner Maxwell Flaum ist es das erste Theaterstück, das er bis dato geschrieben hat. In den Staaten war er Baseballspieler, second base, „dann habe ich ein Mädchen kennengelernt und bin nach Berlin gezogen“. Der Klassiker. Zunächst ging’s mit dem Sport noch weiter, bei den Frohnau Flamingos, einem Regionalligateam, dann geriet er in den Sog der Kunst. Trat in einigen Kurzfilmen als Schauspieler auf, versuchte sich an Drehbüchern, malte und traf schließlich eine Gruppe Gleichgesinnter, mit denen er ein allsommerliches Shakespeare-Open-Air aufzog, im Görlitzer Park. „My First Apocalypse“ sei so eine Art Nebenprodukt dieses Projekts, sagt er, ohne eine Miene zu verziehen. Von Shakespeare zum Shitbag. „Der Kotbeutel ist ein Typ, der sich gern hartgesotten gibt“, beschreibt er seinen Protagonisten, „aber er hat eine weiche Seite. Es braucht einen guten Freund, um die zum Vorschein zu bringen.“ Es fällt schwer, Maxwells Humor nicht zu lieben.

Überhaupt ist es ein starker Jahrgang. Fünf erste Male, die Lust auf mehr machen. Wie „Spin the World Around“ von Kate McKann. Die entwirft ein beklemmendes futuristisches Szenario mit Orwell-Appeal, eine Welt der Ausgangssperren und der allgegenwärtigen Angst vor den ominösen grünen Männern. Oder „Authorization Breakdown“ von Martin Esters. Der lässt einen Autor auftreten, der sein erstes Stück schreibt. Und weitet diese Selbstreflexion zu einem wahren Spiegelkabinett, in dem munter Schriftstellerklischees von der alten Schreibmaschine bis zum Whiskey durcheinanderwirbeln.

Erika Hughes ist die Regisseurin, die aus den fünf Stücken einen Abend formen wird. Die Theaterwissenschaftlerin hat an der New Yorker Tisch School of the Arts studiert und tritt bald eine Professur in Arizona an, nach Berlin kam sie ursprünglich, um für eine Arbeit über das Grips-Theater zu recherchieren. Die Herausforderung der Inszenierung liege darin, sagt sie, die Übergänge von einem Stück zum nächsten zu bauen: „Die Stimmungen sind doch sehr verschieden.“ Sie arbeitet mit vier Schauspielern, einem internationalen Cast. Zwei Amerikaner, ein Kanadier mit australischen Wurzeln und deutschem Pass, eine Halbschweizerin, deren Vater aus Guinea stammt und die in London aufgewachsen ist. Das ETB ist Anziehungspunkt für englischsprachige Exilanten aller Couleur.

„The other migrants“, die anderen Migranten nennt Günther Grosser sie gerne. Und die spielten im Kulturleben Berlins, überhaupt in der Stadt eine zunehmend wichtige Rolle. „Wenn man sich am Schlesischen Tor umhört, spricht jeder Zweite Englisch“, sagt der Theaterleiter. Er wird den Expatriates, den zeitweilig in der Fremde Lebenden, an seinem Haus die gesamte nächste Saison widmen. Wobei er die Berliner Expat-Community nicht auf Engländer oder Amerikaner beschränkt. „Wir bekommen derzeit haufenweise Anfragen aus den südeuropäischen Ländern“, erzählt Grosser. Vermehrt meldeten sich im Theater junge Leute aus Griechenland, Spanien oder Portugal, die bei ihm arbeiten oder sich vernetzen wollen.

Pip Swallow, die Ten-Minute-Play-Kuratorin, würde sie am liebsten alle zum Schreiben ermuntern. Je mehr sich für die Bühne engagierten, desto besser. „Wir wissen doch, dass die meisten Menschen eher ins Kino gehen“, sagt sie. „Was wir brauchen, das sind neue Gesichter und neue Stimmen, die das Theater aufregend machen.“ Fünf sind fürs Erste gefunden.

English Theatre Berlin, Fidicinstr. 40, 17. bis 22. April, 20 Uhr

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