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Seine Welt ist bunt. Mit „Murmel, Murmel“ an der Berliner Volksbühne ist Regisseur Herbert Fritsch auch in diesem Jahr wieder zum Theatertreffen eingeladen.

© picture alliance / dpa

Theater: Murmel aus dem Eis

München, Köln und die Hauptstadt halten die Spitze – die Auswahl zum 50. Berliner Theatertreffen. Die Jury hat 423 Stücke in 69 Städten gesichtet - ein Rekord.

Das Berliner Theatertreffen feiert in diesem Jahr sein 50. Jubiläum. „Goldene Hochzeit", wie Festspiele-Intendant Thomas Oberender freudig verkündete. Wer war noch gleich der Ehepartner in diesem Bild mit Zierrahmen? Na klar, „die deutschsprachige Theaterlandschaft“. Vielleicht hätte die sich zum besonderen Anlass etwas mehr herausputzen können – um der siebenköpfigen Kritiker-Jury eine Auswahl der zehn bemerkenswerten Inszenierungen zu ermöglichen, die ebenfalls aus dem Rahmen der Gewohnheitsfeier fällt. Die nach Versprechen klingt und nicht nach Konsens.

Aber das Theaterleben ist kein Wunschkonzert, man kann nur einladen, was produziert wird. Von „heftigen Diskussionen“ über die Siegerstücke berichtete eine schwer übernächtigte Jury auf der Pressekonferenz am Montag gleich mehrfach. Dafür dürfte es vom 3. bis 19. Mai eine Familienzusammenkunft werden, bei der kein schwarzes Schaf den Frieden der Theater-Jubilare stört.

Die einzige echte Überraschung: Jérôme Bel ist mit seiner Inszenierung „Disabled Theater“ eingeladen; eine Koproduktion unter anderem mit dem Berliner Hebbel am Ufer, was der frisch angetretenen HAU-Chefin Annemie Vanackere einigen Rückenwind verschaffen dürfte. Der belgische Choreograf hat das Stück mit Darstellern vom Zürcher Theater Hora inszeniert, die das Down-Syndrom haben. Ob sie auch darunter leiden, ist nur eine der Ungewissheiten, die das Stück dem Zuschauer munter zuspielt. Können die Performer mehr verkörpern als nur sich selbst? Werden sie gar nach Menschenzoo-Manier ausgestellt? Mit solchen Fragen gehen Bel und sein Ensemble erfrischend offensiv um. Nur am Rande: die Produktion „Dschingis Khan“ der Truppe Monster Truck, erarbeitet mit Schauspielern des Berliner Theaters Thikwa, bearbeitet das gleiche Thema nicht weniger provokant zugespitzt. Aber die freie Szene, die in den vergangenen zwei Jahren ungewöhnlich stark beim Theatertreffen vertreten war, ist über Bel hinaus diesmal nicht präsent. Was hätte sich auch groß aufgedrängt? Herausragende Arbeiten wie SheShePops „Testament“ oder Milo Raus „Hate Radio“ waren zuletzt nicht zu sehen.

Es dominiert das Stadttheater jüngerer und mittelalter Prägung. Ebenfalls aus Berlin kommt Herbert Fritschs Inszenierung „Murmel, Murmel“, die kongeniale Übertragung des 176-seitigen Dada-Werkes vom Aktionskünstler Dieter Roth, das ausschließlich aus dem Wort „Murmel“ besteht. Der Nuancenreichtum, den Fritsch an der Volksbühne daraus kitzelt, ist ein Erlebnis. Überhaupt ein schöner Erfolg für den mittlerweile landauf, landab gefragten Regisseur: Er ist im dritten Jahr hintereinander eingeladen.

Was auch für Regisseurin Karin Henkel gilt. Sie bringt Gerhard Hauptmanns „Die Ratten“ in ihrer Kölner Inszenierung mit; ob das ein Grund zur Freude ist, wird sich zeigen. Sowohl Henkels „Kirschgarten“ als auch ihr „Macbeth“ waren in den vergangenen Theatertreffen-Jahren farblose bis schnarchlangweilige Veranstaltungen aus der Ferner-Liefen-Rubrik. Aber weil die Jury – Achtung, neuer Rekord! – 423 Inszenierungen in 69 Städten gesichtet hat, wird man ihr kaum vorwerfen können, Perlen der Provinz zugunsten Henkels übersehen zu haben. Das Schauspiel Köln ist darüber hinaus noch mit Katie Mitchells „Reise durch die Nacht“ eingeladen. Eine eher unbekannte Erzählung von Friederike Mayröcker aus dem Jahr 1984, im Handel gerade vergriffen. Mitchell, berichtete die Jury, verlegt diese Nachtzugfahrt einer Sinnierenden in einen ihrer bewährten Live-Film-Sets. Könnte ja ansehnlich werden.

Für die Kölner Intendantin Karin Beier ist die erneute Doppeleinladung ihres Hauses jedenfalls ein schönes Abschiedsgeschenk, bekanntlich verlässt sie die Rheinmetropole in der kommenden Saison Richtung Hamburger Schauspielhaus. Und hat mit der Verpflichtung des Burgtheater-Stars Joachim Meyerhoff fürs dortige Ensemble bereits einen Coup gelandet. Wien fehlt in diesem Jahr auf dem Theatertreffen. Ob da die bisherigen 45 Einladungen in 50 Jahren trösten, die Oberender hervorhob?

Die Münchner Kammerspiele jedenfalls, noch so ein Kandidat mit Theatertreffen-Abo, halten die Klasse. Sebastian Nübling zeigt in Berlin seine Tennessee-Williams-Bearbeitung „Orpheus steigt herab“, ein Stück über Außenseiter-Hatz, das Nübling nicht „krampfhaft aktualisiere“, wie es in der Begründung heißt. Und in der Regie des Intendanten Johan Simons kommt Elfriede Jelineks Auftragswerk „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“. Eine pure Jelineksche, also satirisch-kalauernde Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Nachbarschaft der Kammerspiele, der Mode-Nobel-Meile Maximilianstraße. Martin Kusej, Intendant des Residenztheaters gegenüber, ist dagegen wieder leer ausgegangen. Was ihn wurmen dürfte.

Dafür kann Oliver Reese, Intendant des Schauspiels Frankfurt, sich freuen. Der Mann ist ja zwischenzeitlich wegen seines großzügigen Gehalts am Main in die Schlagzeilen geraten, ein Theater-Steinbrück sozusagen. Jetzt ist sein Haus mit Michael Thalheimers Antiken-Bearbeitung „Medea“ eingeladen. In der Hauptrolle: Constanze Becker. Die Jung-Tragödin war ja schon in Thalheimers „Orestie“ am Deutschen Theater eine Wucht. Und zählt zu den starken Frauen dieses Festivaljahrgangs, die auf der Pressekonferenz als kommende Attraktionen besonders hervorgehoben wurden. Freuen darf man sich auch auf den Kammerspiele-Star Sandra Hüller und auf Lina Beckmann aus dem Kölner Ensemble.

Überhaupt: Gloriose Ensembleleistungen seien zu bestaunen, versicherte Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer. Etwa in Luk Percevals Fallada-Adaption „Jeder stirbt für sich allein“ vom Hamburger Thalia Theater. Bleiben zwei Theatertreffen-Newcomer, die bereits auf lange Karrieren zurückblicken: der scheidende Leipziger Intendant Sebastian Hartmann ist mit seiner Tolstoi-Bearbeitung „Krieg und Frieden“ eingeladen, was ihm womöglich den Abschied vom Centraltheater nach vielen Querelen versüßt. Und Sebastian Baumgarten darf seine Zürcher Brecht-Inszenierung "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" zeigen. Wir halten fest: viel Klassik und moderne Klassik, wenig frisches Blut, wenig Gegenwart.

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