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Theater: Mutige Uraufführung

Wenn Werte und Moral nur noch Relikte einer längst vergangenen Ordnung sind, bleibt das Spiel die letztmögliche Daseinsform - jedenfalls in dem Roman "Spieltrieb" von Juli Zeh.

Hamburg - Regisseur Roger Vontobel hat am Donnerstagabend im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses eine mutige Bühnenversion des Romans zur Uraufführung gebracht. Raffiniert entführt die Fassung von Bernhard Studlar in eine Welt der angewandten Spieltheorie und illustriert die orientierungslose Gleichgültigkeit einer jugendlichen Generation mit massiver sexueller Freizügigkeit.

Nicht eine Richterin erzählt, wie im Roman, die Geschichte der 14-jährigen Ada (Jana Schulz), die als schwer erziehbare, aber hoch begabte Schülerin neu an eine Privatschule kommt, sondern Ada selbst. Mit ihrem Klassenkameraden Alev (Max Mayer) stellt sie ihre eigenen Regeln auf: In Mensch-Ärgere-Dich-nicht-Manier zwingen die beiden ihren Sportlehrer (Marco Albrecht) zum wiederholten Sex mit Ada und spenden Gefühle, als gehe es um die Reparatur eines Abflussrohrs.

Mitunter komplett nackt

Die Anspannung war den jungen Schauspielern anzumerken - wohl auch in Erwartung der Publikumsreaktion: Zweidreiviertel Stunden lang legten vor allem Jana Schulz, Max Mayer und Marco Albrecht eine schauspielerische Meisterleistung hin, die das Publikum mit viel Beifall bedachte. Mitunter komplett nackt lassen sich Ada alias Schulz und ihr Sportlehrer Smutek in verschiedenen Stellungen fotografieren und gewähren Einblicke auf und in Körperregionen, ohne das Profil der Charaktere zu schmälern.

Auch das Spiel mit dem Publikum beginnt früh: Wiederholt begleitet der Zuschauer die Spielrunden, die Züge eines Porno-Drehs angenommen haben. Zwischendurch reden alle Schauspieler gleichzeitig aufs Publikum ein, offenbaren die über Jahre gewachsene, innere Leere. Hohl, fast zynisch klingen ihre Weihnachtslieder über Hoffnung und Beständigkeit. «Wir sind glücklich», hält Ada dafür am Ende den Zuschauern entgegen und präsentiert ihre fragwürdige Lösung: Alles geht, sie müssen sich nur ums Überleben kümmern.

Das Spiel als letzte Freiheit

Leichtfüßig - spielerisch eben - kommt Vontobels Inszenierung trotz des gewichtigen Stoffs daher. Mit viel Musik charakterisiert er seine Akteure, kürzt die Handlung mit effektvollen Videoprojektionen ab, die die Figuren und ihre Erlebnisse in einer zweiten Erscheinung auf den Boden beamen. Selten drückten Aufnahmen eines schweigend die Zähne putzenden Ehepaars so viel aus, wie das gequält-verwirrte Paar bei Vontobel.

Eine Vision nennt Autorin Zeh, geschult an Robert Musils «Der Mann ohne Eigenschaften», ihr Bild einer Generation, deren letzte Freiheit das Spiel ist. Die 30-jährige studierte Juristin promoviert derzeit in Völkerrecht, «Spieltrieb» ist ihr zweiter Roman. Der 33-jährige Dramatiker Bernhard Studlar lebt als freischaffender Autor in Wien. (Von Antje Harders, dpa)

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