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Carlixto_Bieito

© Lieberenz/Bildbühne.de

Theater: Paella und Liebe

Techno im Mittelalter: Carlixto Bieito springt in seinem neusten Stück „Weißer Ritter“ im Hebbel am Ufer zwischen den Zeiten hin und her.

Die Gralshüter der Werktreue werden Calixto Bieito diesmal nichts vorwerfen kön nen. Es besteht kein Erklärungsbedarf der Art, weshalb er etwa die Handlung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in einen zeitgenössischen Puff verlegt. Der katalanische Schauspiel- und Opern-Regisseur, gern Skandalproduzent genannt, kann sicher sein, dass kaum jemand den über tausendseitigen Ritterroman „Tirant lo Blanc“ von Joanot Martorell aus dem 15. Jahrhundert gelesen hat. Gleichwohl es sich um das erste und bedeutendste literarische Werk in katalanischer Sprache handelt. Bei Cervantes, im „Don Quixote“, wird es als einziges Buch vor den Flammen gerettet, bei Bieito immerhin aus der Versenkung geborgen.

Ein Fest hatte der Regisseur im Vorfeld versprochen, eine Feier der Lüste, des Turniers und der Heldentaten aus der mittelalterlichen Ritterwelt Martorells, die ja zum Zeitpunkt der Romanentstehung schon im Untergang begriffen und von der heraufdämmernden Renaissance überschattet war. Tatsächlich löst Bieitos Inszenierung, die mit der Compagnie seines Teatre Romea in Barcelona entstanden ist, den Fest-Gedanken vollends ein. Nicht nur, weil auf der Laufstegbühne, die Alfons Flores weit in den Zuschauerraum des Hebbel-Theaters hineingebaut hat, für die Zuschauer Paella gekocht und Rotwein entkorkt wird. Sondern weil der „Tirant“, der sich aus Artus-Sage und Parcival-Mythos speist, hier als vital pulsierendes Traumspiel und Orgienmysterientheater aufersteht, Bild für Bild opulent, elektrisierend, auch erotisierend.

Wanderer zwischen den Welten

Der Regisseur und sein Dramaturg Marc Rosich haben den Roman zum Road-Movie eines Wanderers zwischen den Welten verdichtet, dem die Gewissheiten abhanden kommen, religiös und amourös. Es mischen sich die mittelalterlichen Kostüme mit den Trainingsjacken, die Choräle und Requiems des Komponisten Carles Santos mit Techno-Beats, während auf dem Video-Banner an der Bühnenrückseite die Straßenmarkierungen eines Lost Highway flirren. Die Zeit der archaischen Ritter-Tugenden, so Bieito, ist uns entrückt – aber neue Ideale haben wir keine und die Probleme des kompasslosen Menschen auf der Suche nach Glaube, Liebe, Hoffnung sind die alten geblieben. Einmal, in einer famosen Videosequenz, irrt Tirant in seiner Rüstung über einen heutigen Badestrand, belacht und begafft.

Der weiße Christen-Ritter, gespielt von Joan Negrié, zieht in Bieitos dreistündiger Fassung gen Rhodos, um dem byzantinischen Kaiser im Kampf gegen die Türken beizustehen. Flankiert vom Freund Diafebus (Lluís Villanueva) und einer hinzuerfundenen Figur, der „Blume des Rittertums“ (Belén Fabra), glückt ihm ein Sieg auf dem Schlachtfeld. Aber nicht in der Liebe: Die jungfräuliche Kaisertochter Carmesina (Beth Rodergas), ein Girlie im weißen Unschulds-Tutu, erhört trotz Entflammtheit das Werben des Edelmanns nicht. Eifersüchteleien des Herzogs von Mazedonien (Nao Albet) und die Intrige einer bösen Witwe (Victòria Pagès) entzweien die Liebenden.

Bieitos packendes, körperintensives Theater der Kabale und Liebe, auch der Kolportage und des Kitsches, entfesselt einen phantasmagorischen Rausch, dem man sich gern ergibt. Wie es im Text heißt: „Für den, der einen schönen Traum träumt, ist das Aufwachen eine Qual.“

Wieder am 29. September, 19.30 Uhr

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