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Kultur: Theater: Poulet à la Viagra

Sind Hühner sexy? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geflügelzucht und Geschlechtstrieb?

Sind Hühner sexy? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geflügelzucht und Geschlechtstrieb? Ist jede Legebatterie eine Brutstätte des Lasters? Dass zarte Hähnchenschenkel, pralle Putenbrüste oder knusprige chicken wings zu den erotischen Offenbarungen der kulinarischen Welt gehören, mag kein Gastro-Lüstling ernsthaft bestreiten. Aber Hahnenkämme? Diese herumschwabbelnden Kopfschwellkörper, mit deren Hilfe der gemeine Flattermann seine Potenz zur Schau stellt? Wer soll denn sowas goutieren, geschweige denn essen?

Ja, das sind Fragen, die die Welt nicht braucht, und die wir uns nur deshalb stellen, weil die jüngste Uraufführung im Theater am Ufer uns reizvollere Fragwürdigkeiten vorenthält. Denn Andrej Worons wanderfreudige Kreaturen, seit 11 Jahren unterwegs auf den (Alp-)Traumpfaden der Kulturgeschichte, gönnen sich dieses Mal einen sextouristischen Abstecher in eine amazonische Urlandschaft, einen obszön glucksenden Daseinssumpf, der alle ins Überirdische strebenden Gedanken im Schlamm erstickt. Folgerichtig stellt Woron seinen zu Kleinviehkunst und Sodomie verdonnerten Geschöpfen eine Buddelkiste zur Verfügung, in der sie ihren Spiel-und Schmuddeltrieb befriedigen können.

Aus der dunklen Erde ragt der Kopf von Rosita (Ana Celia), die wie Becketts zum Glück entschlossene Winnie zu Grunde geht, aber dabei der Sonne die träumende Stirn bietet. Vor 27 Jahren ist sie, noch in der Hochzeitsnacht, vom flüchtigen Herzensbrecher Leonardo (Adolfo Assor) verlassen worden. In den Erinnerungen, die diese ungelebte Liebe ihr eröffnete, hat sie ihr Leben eingerichtet: Gedächtnisräume mit Lorca-Anstrich hat Christoph Klimke, der als Librettist für Kresniks Volksbühnen-Inszenierungen bekannt geworden ist, für sein Stück "Hahnenkämme" entworfen. In Rositas Heimatdorf, dem Hühnerzucht-Dorado am Rande des Regenwaldes, führen die Männer ein krähendes, hahnenkammspreizendes Gockel-Leben, während die Frauen muttergluckenhaft Söhne bebrüten oder sich ohne viel Federlesens vom nächstbesten Mistkratzer bespringen lassen. In dieser gallo-und phallozentrierten Welt tummelt sich nun das zur notgeilen Barbarenbande mutierte Kreaturenvolk : Blutrünstige Hühnermetzger, stotternde Poeten, bigotte Exhuren und perverse Pfaffen formieren sich zu einer zähnefletschenden, Stierhoden schwenkenden Sinnlichkeits-Schwadron, die jeden Anflug von Poesie, jeden Hauch von Metaphysik unverzüglich dem Erdboden gleichmacht. Kein Wunder, dass der Bischof um diesen Sündenpfuhl einen großen Bogen schlägt, obwohl ein großer Topf Hahnenkammsuppe zur Versöhnung der Götter bereitsteht.

Kein Wunder aber auch, dass Worons dauererregtes Bildertheater selbst bei den libidinösesten Zuschauern mittlerweile deutliche Abstumpfungs-und Abschlaffungs-Reaktionen hervorruft. Nur wenn Rosita zuletzt in den Trümmern des Bühnenbildes, in den Ruinen ihrer Erinnerung steht, umwirbelt von den tausend Briefen, die ihr Geliebter nie gelesen hat, kommt das Kreaturentheater noch einmal zu sich, in aller Stille. Der Rest ist aufgeplustertes Geflügel - nur bedingt genießbar.

Meike Matthes

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