zum Hauptinhalt
Ohne geht es nicht. „Your Devices“ spielt mit der Handy-Abhängigkeit.

© Ballhaus

Theater spielt mit Smartphone: Der Schmerz geht online

„Permanente Beunruhigung“: eine Performancereihe im Berliner Ballhaus Naunynstraße über Identitäten in Online-Zeiten.

Den Satz hört man im Theater auch nicht oft: „Bitte lassen Sie Ihre Mobiltelefone unbedingt angeschaltet und stellen Sie sie nicht lautlos!“ Entsprechend bimmelt es während der folgenden Vorstellung immer mal wieder. Stört aber tatsächlich nicht, sondern passt zum Thema. Denn die Show, mit der das Ballhaus Naunynstraße nach sechsmonatigen Renovierungsarbeiten nun in die Spielzeit startet, heißt „Your Devices“, frei übersetzt: eure Endgeräte. Es ist die Fortentwicklung einer Arbeit, die schon im vergangenen Jahr am Ballhaus erprobt wurde. Damals mussten die Besucher sämtlich ihre Mobiltelefone an die Performer aushändigen, was für ein brutaler Eingriff in die digitale Selbstbestimmung!

Diesmal trifft die Zwangsabstinenz zum Glück nur einige Auserwählte. Bishop Black, Fritz Helder, Mmakgosi Kgabi und Dusty Whistles laufen mit ihren eigenen Devices über die Bühne und durch die Reihen, die Kamera im permanenten Selbstbespiegelungsmodus. Würde Oscar Wilde heute „Die Selfies des Dorian Gray“ schreiben?

So startet das Festival „Permanente Beunruhigung“. Dahinter steckt ein bewusst riskantes und bewährtes Schnellschuss-Format: 23 internationale Künstlerinnen und Künstler kommen in Vierer- oder Fünfer-Konstellationen zusammen, arbeiten zwei Tage lang (möglichst autonom, ohne dramaturgischen Eingriff von außen) und präsentieren dann an zwei Abenden ihre Performance. Klar, dass es dafür in erster Linie gestandene Künstler-Persönlichkeiten braucht, die Unsicherheit aushalten. Der Titel zielt, so ist es im Programm formuliert, auf „Zeiten, in denen die Brüche einer Gesellschaft sichtbarer werden. Zeiten, in denen Misstrauen und Ablehnung Diskurse und Beziehungen fragmentieren“.

Requiem für Endgeräte

Das „Your Devices“-Quartett adressiert diese klaffenden Gräben dort, wo sie gegenwärtig besonders viel Schaden anrichten, im virtuellen Raum nämlich. In der Performance mischen sich schwarze, queere, postkoloniale Sujets. Vor allem geht es um die Frage nach Identität in einer Online-Umgebung, die mal ein Versprechen von Freiheit und Fluidität war. Und die heute für Algorithmen, Ausverkauf, Überwachung und Fake News steht. Wie und warum in solchem digitalen Sumpf Selbstdarstellung auf Konzern-Plattformen betreiben? „We needed somewhere to put the pain so we went online“, heißt es einmal, wir mussten ja irgendwohin mit dem Schmerz, also gingen wir online.

Verhandelt wird dieses Requiem für Endgeräte vor Videowänden mit Overkill-Bildern und in futuristischen Kostümen, teils hoch phantasievolle Drag-Couture. Die Performer bestechen mit starker physischer Präsenz, besonders Mmakgosi Kgabi und Fritz Helder, ein jamaikanisch-kanadischer Musiker, der am 24. November auch noch ein Konzert gibt. Am gleichen Abend, an dem das Jubiläum „10 Jahre postmigrantisches Theater“ gefeiert wird. Dessen Lebendigkeit beweist die „Permanente Beunruhigung“, die noch bis 16. Dezember anhält.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false