zum Hauptinhalt

Kultur: Theater trifft: universell und lokal!

Thomas Langhoff wird heute 60.Der Regisseur Thomas Ostermeier, genau halb so alt, ist die neueste Hoffnung nicht nur der Baracke des Deutschen Theaters - ein Gespräch zwischen Großmeister und JungstarTHOMAS LANGHOFF, Regisseur und Intendant des Deutschen Theaters, wurde am 8.

Thomas Langhoff wird heute 60.Der Regisseur Thomas Ostermeier, genau halb so alt, ist die neueste Hoffnung nicht nur der Baracke des Deutschen Theaters - ein Gespräch zwischen Großmeister und JungstarTHOMAS LANGHOFF, Regisseur und Intendant des Deutschen Theaters, wurde am 8.April 1938 in Zürich als Sproß einer Theaterdynastie geboren.Sein Vater, Wolfgang Langhoff, war ebenfalls Intendant des DT (1946-63), sein Bruder Matthias arbeitet als Regisseur, seine Söhne Tobias und Lukas sind im Theater tätig, sein Frau Hedi ist Regieassistentin, seine Nichte Anna Dramatikerin.Thomas Ostermeier wurde am 3.September 1968 in Soltau geboren und wuchs in Landshut auf.Sein Vater ist Berufssoldat, seine Mutter Hausfrau.Thomas Langhoff verbrachte seine Jugend in Ost-Berlin, besuchte die Theaterhochschule in Leipzig, arbeitete als Schauspieler und wandte sich - nach zwei gescheiterten Regieversuchen im Theater - dem Film zu.Mitte der siebziger Jahre wechselte er als Regisseur an das Maxim-Gorki-Theater, wo er besonders mit Stücken der in der DDR verpönten bürgerlichen Dramatiker wachsenden Erfolg hatte.Legendär wurde dort vor allem seine Inszenierung der "Übergangsgesellschaft" von Volker Braun.Seit 1980 inszenierte er auch im Westen, wo er schnell in die Riege der ersten Regisseure aufrückte.Im August 1991 übernahm er die Intendanz des Deutschen Theaters, als Geliebte leistet er sich die Opernregie.Thomas Ostermeier studierte von 1992-96 an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" und machte mit diversen Inszenierungen bei den Berliner Festwochen auf sich aufmerksam.Schnell als Talent entdeckt, leitet er seit 1996 auf Anregung von Thomas Langhoff die Baracke des Deutschen Theaters, die schnell überregionale Beachtung erfuhr.Dieses Jahr werden beim Theatertreffen zwei seiner Inszenierungen zu sehen sein.Ab dem Jahr 2000 übernimmt er die Leitung der Berliner Schaubühne.Mit Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier sprachen Peter von Becker und Manuel Brug. TAGESSPIEGEL: Thomas Langhoff, Sie werden jetzt Sechzig, Gratulation! Fühlen Sie sich hier, auf einem Sofa neben Thomas Ostermeier, schon als Patriarch - neben einem erfolgreichen Schüler? LANGHOFF: Ich fühle mich nicht wie ein Patriarch, ich fühle mich nur in gewissen Dingen pragmatisch überlegen.Aus Erfahrung, und damit versuche ich, Herrn Ostermeier zu helfen.Das ist alles. TAGESSPIEGEL: Nach 1968, als sich mit dem Aufstieg von Peter Stein, Claus Peymann, Jürgen Flimm & Co.ein Generationswechsel im Theater anbahnte, gab es auch noch einen echten Generationenkonflikt. LANGHOFF: Aber nicht für mich! Ich bin doch ein verkrüppelter Ossi, ich gehöre doch überhaupt nicht zu diesen revolutionären wunderschönen Geistern, die damals im Westen die Zeit bestimmt haben.(lacht) Ich bin wirklich eine absolute Einzelerscheinung, ich bin immer Außenseiter gewesen. TAGESSPIEGEL: Schon vor der Wende? LANGHOFF: Schon weit vor der Wende.Nachher weniger.Da hat man sich ja auch unter den Theaterleuten wieder aufs neue in West und Ost geteilt.Diese Erfahrung haben wir auch am Deutschen Theater machen müssen.Andererseits steht dieses Theater mit seinen Schauspielern und Regisseuren für eine bestimmte Identität.Für eine Form von Handwerk auch - und Theaterkunst.Der Gedanke, hinter uns käme nur noch Schlingensief, würde mir nicht gefallen. TAGESSPIEGEL: Thomas Langhoff sagt, er sieht sich als Einzelgänger.Gibt es für Sie, Thomas Ostermeier, in Ihrer Generation ein "Wir"-Gefühl? OSTERMEIER: Ich würde mich weder im Bezug auf die künstlerische Ebene noch was meine Generation anbelangt als Einzelgänger beschreiben.Unsere Arbeit in der Baracke am Deutschen Theater ist das Ergebnis von Teamwork.Und apropos Schlingensief: Ich habe auch das Gefühl, es gibt bei den Zuschauern das Verlangen nach einem Theater jenseits des Dekonstruktivismus. TAGESSPIEGEL: Sie haben in der Baracke bisher meistens Ur- und Erstaufführungen gemacht.Gilt dem Zeitgenössischen Ihr hauptsächliches Interesse? OSTERMEIER: Ich suche nach einem Ensemblezusammenhang, nach einer Übersetzung von vorgeschlagenen Motiven und Szenen im Bühnenbild, die wir ins Spiel übertragen wollen.Dann kann man fast auf das Bühnenbild verzichten.Doch diese Arbeit läuft nicht allein auf dem Gleis neuer angelsächsischer Dramatik wie "Messer in Hennen" oder zuletzt "Shoppen & Ficken".Als ich von Herrn Langhoff engagiert wurde, war das ja nach der "Unbekannten", einem hier fast unbekannten Stück des russischen Symbolisten Aleksander Blok LANGHOFF: Aber eigentlich wurden Sie engagiert, weil Sie mir sympathisch waren, in einem künstlerischen und menschlichen Sinne sympathisch! OSTERMEIER: (lacht) - und mit Maeterlincks "Der blaue Vogel", den ich als nächstes inszeniere, erstmals im Großen Haus, bin ich dann wieder bei einem Symbolisten. TAGESSPIEGEL: Bezeichnend ist wohl, daß die Barackenarbeit als Kontrast zum opulenten realistischen Erzähltheater, wie es im Großen Haus dominiert, sich vom forcierten Körpertheater bei "Mann ist Mann" bis zum poetisch-mystischen Realismus bei "Messer in Hennen" in ganz unterschiedlichen Theaterformen erprobt. OSTERMEIER: Ja, "Messer in Hennen" entsprang einem ganz klaren Entschluß, keines dieser englischen "New Writing"-Stücke zu spielen, das sich nur vordergründig gewalttätig, wild und hart geriert.Es ging eigentlich um etwas, was schon wieder eine philosophische Frage nach der Welt, nach den Dingen hinter der Welt stellt.Wir wollten aber auch beweisen, daß das unsere Generation interessiert.Dann hat sich diese Spielplanarbeit weiterentwickelt.Uns geht es um die Frage, wie können wir auch etwas von der Berliner Wirklichkeit greifen und widerspiegeln? TAGESSPIEGEL: Aber Sie spielen keine Berliner Milieustücke oder Dokumentardramen. OSTERMEIER: Natürlich nicht.Deshalb sind wir dann auf "Shoppen & Ficken" gekommen, worin wir zwar Realitätssinn beweisen, aber trotzdem künstlerisch überhöht arbeiten müssen.Das ist ja kein Realismustheater, eher eine Farce.Wenn sich in "Shoppen" eine Generation nach dem Thatcherismus in England so scharf formuliert, mit dem zynischen oder verzweifelten Motto: Geld ist Zivilisation, Zivilisation ist Geld - dann zwingt das auch uns, auf die sozialen Probleme in Berlin und Deutschland nicht immer nur mit einem ausweichenden "Anything goes" zu reagieren.Man muß ein Stück so hinkriegen, daß diese Widersprüche deutlich werden. TAGESSPIEGEL: Das alles müßte Thomas Langhoff jetzt erfreuen: daß jemand sich nochmals einem poetischen, provozierenden Realismus verpflichtet fühlt. LANGHOFF: Es gibt da tatsächlich eine Linie von sehr vielen Sachen her, die auch ich anfangs gemacht habe.Ein generationsmäßiger Unterschied ist vielleicht, daß ich nicht versuche, die Berliner Wirklichkeit mit hinein zu kriegen.Als ich vor der Wende am Gorki-Theater Volker Brauns "Übergangsgesellschaft" inszeniert habe, da haben wir die Realität der untergehenden DDR ins Herz getroffen, indem das Stück auch noch in einem Spiegelverhältnis zur Welt von Tschechow spielte.Gutes Theater ist für mich auch immer etwas Universelles, zwischen den Orten und Zeiten. OSTERMEIER: Widerspruch: Ich glaube, daß Theater eine lokale Kunst ist, bei der eine bestimmte Geschichte mit einem Publikum funktioniert.Was heute in China radikal ist, würde hier niemals ähnlich wirken.Was auf großen internationalen Festivals funktioniert, ist zwar liebevolles und schönes Theater, aber auch Theater, das nicht wehtut, weil es ortlos ist.Wenn Frank Castorf mit "Trainspotting" nach Sarajevo fährt, dann sitzt er dort einem Publikum gegenüber, das überhaupt nicht weiß, was ihm jetzt erzählt werden soll, mit diesem Stück.Wir werden jetzt mit "Mann ist Mann" nach Belgrad fahren, und das wird dort sicher ganz anders rezipiert werden.Das Soldatenmilieu darin war für Brecht nur eine Metapher, aber in Belgrad nimmt man das vermutlich auf einer viel realistischeren Ebene wahr. LANGHOFF: Das spricht ja auch für meine These.Haltbare Aufführungen, haltbare Stücke, können in einen anderen Kontext gestellt werden, und die Leute können etwas damit anfangen, es amüsiert sie oder schmerzt sie. TAGESSPIEGEL: Trotz aller sozialer Spannungen in Berlin und Deutschland: Ist ein wirklich "schmerzhaftes" Theater bei uns nicht eine Illusion? OSTERMEIER: Nein, das ist keine Illusion.Es ist auch nie der Ansatz zu sagen, wenn man ein Stück macht, jetzt müssen alle furchtbar leidgeplagt aus dem Theater rausgehen.Bei "Shoppen & Ficken" aber passiert am Schluß etwas, was wir gar nicht mehr genau beschreiben können. TAGESSPIEGEL: Ein junger Mann stirbt bei einem Liebes- und Gewaltakt mit einem Messer im After. OSTERMEIER: Ja, aber das wird überhaupt nicht spekulativ oder besonders drastisch gezeigt.Trotzdem wühlt es die Zuschauer unwahrscheinlich auf. LANGHOFF: Aber sie fühlen sich doch nicht aufgeklärter dadurch? OSTERMEIER: Nö, Nö. TAGESSPIEGEL: Und Ihre Schauspieler, die alles andere als nur brechtisch-episch neben ihren Figuren stehen, haben keine Hemmungen? LANGHOFF: Die sind noch distanzierter als oben im Deutschen Theater! OSTERMEIER: (lacht) Die hohe Schauspielkunst, die an diesem Theater ihre Wurzeln hat, ist die hohe Menschendarstellungskunst.Also nicht nur zu zeigen, wie eine Figur gesellschaftlich funktioniert. LANGHOFF: Es gibt schon dieses Klischee, an dem auch was dran ist: daß die Schauspieler im Westen eher mit psychologischer Einfühlung und die Schauspieler in der DDR eher auch mit einem kritischen Gestus an Figuren herangegangen sind.Ich konnte das beobachten, weil ich schon vor der Wende auch häufig in Wien oder München gearbeitet habe.Die Kunst der Menschenbeobachtung und -darstellung, das war der Ausgangspunkt des DDR-Theaters.Der Endpunkt der Interessen aber ging darüber hinaus.Denn das DDR-Theater bot auch einen Ersatz für die gesellschaftlich-politische Diskussion, die in der Politik und in den Medien nicht möglich war.Seit der Wende gibt es diese offene Nische nicht mehr. TAGESSPIEGEL: Und in dieser Umbruchsituation wurden Sie dann Intendant eines noch immer Ost-Berliner und zugleich "Gesamt"-Deutschen Theaters. LANGHOFF: Ich hatte keine Wahl.Ich wurde ja nicht gefragt.Gefragt hat mich nur meine Frau, und die hat mir zutiefst abgeraten.Auch mein Freund Curt Bois, der wurde von seiner Frau immer vor dem Friseur abgestellt, wo ich ihn traf, er fragte mich: "Du wirst da Intendant, ja hast du denn das nötig?" Es war eine historisch-politische Situation, die mir keine Möglichkeit ließ, "Nein" zu sagen.Ich war für die der Idealfall des Ostlers, dem die Westler vertrauen. TAGESSPIEGEL: Was ist denn die Unverkennbarkeit des Deutschen Theaters im Vergleich zu den Münchner Kammerspielen oder dem Hamburger Schauspielhaus oder dem Burgtheater? LANGHOFF: Da ist eine bestimmte Traditionslinie erwachsen, die sich daran orientiert, daß eine Gruppe von jüdischen Künstlern in Berlin ein deutsches Theater gegründet und mit vielen jüdischen Schauspielern zu größtem Ansehen gebracht hat.Das war eine Anstalt des literarischen Widerstandes in der Nazi-Zeit.Da wurden keine Propaganda-Stücke gespielt.Und dieses demokratisch-aufklärerische Moment ist erhalten geblieben - indem nicht einer allein die Linie des Hauses bestimmt und auch die Schauspieler mitreden können.Deshalb ist es so schade, daß die Barackenjungs uns verlassen werden. TAGESSPIEGEL: Ab dem Jahr 2000 geht Ostermeier mit seinen engsten Mitarbeitern an die Berliner Schaubühne.Fühlen Sie sich verraten? LANGHOFF: Ja und nein.Eher nein.Andere Modelle hätten mir mehr behagt. TAGESSPIEGEL: Thomas Ostermeier als ihr Nachfolger? LANGHOFF: Klar hätte mir das besser gefallen! Gewissen Entwicklungen stehe ich aber auch fatalistisch gegenüber.Was zusammen gehört, kommt schon irgendwie und irgendwann mal wieder zusammen.Andererseits kann ich verstehen, daß man so einer Chance nachgeht. TAGESSPIEGEL: Aber Sie werden die Baracke erhalten, auch über die Ostermeiers hinaus? LANGHOFF: Unbedingt.Und sogar vielleicht erweitern. TAGESSPIEGEL: Ihr Indendantenvertrag geht bis 2001, davor leiten Sie hier zusammen mit Nele Hertling noch das Festival "Theater der Welt 1999".Werden Sie nochmal verlängern? LANGHOFF: Ich denke mehr über meine Nachfolge nach.Wenn man mir jetzt sagt: "Mach noch ein Jahr länger!" Gut.Aber mit dem Erreichen des Rentenalters werde ich garantiert kein Intendant mehr sein.Es gibt auch noch viele Dinge in der Oper oder im Film, die ich machen möchte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false