zum Hauptinhalt
Wir-Gefühl. Schauspielerin Jutta Wachowiak (Mitte) am 4. November 1989.

© ullstein bild

Theater und Umsturz in der DDR: Bühnenaufstand

Erinnerungen an 1989: Eine Ausstellung am Deutschen Theater zeigt noch bis zum 9. November eine Ausstellung zur Rolle des Theaters in der DDR und ihrem Ende. Zur Eröffnung gab es eine angemessen differenzierte Diskussion.

Jutta Wachowiak sitzt auf dem Podium im Rangfoyer des Berliner Deutschen Theaters und artikuliert freundliches Unbehagen. „So, wie man es beschreiben kann, so ist es nicht gewesen“, zitiert sie einen Satz von Christa Wolf. Keine Frage: Die Rolle des Theaters in der DDR, das einerseits vergleichsweise große Freiräume genoss (und selbst immer wieder erkämpfte), andererseits natürlich auch Zielscheibe ideologischer Einflussnahme war und notgedrungen in Dauerkontakt mit staatlichen Behörden stand, ist eine „hochkomplexe“ Angelegenheit. So formuliert es, stellvertretend fürs Podium, der Dramaturg und Shakespeare-Experte Maik Hamburger, der fast 30 Jahre lang am (Ost-)Berliner DT tätig war.

Gut, dass es die Bühne an der Schumannstraße trotzdem versucht. Die Historiker Jutta Braun und Michael Schäbitz zeigen anlässlich des 25. Jahrestages der Friedlichen Revolution im oberen Kammerspiele-Foyer eine kleine Ausstellung zum Thema. Zur Eröffnung unterhält sich Schäbitz mit den Schauspielerinnen Jutta Wachowiak und Margit Bendokat, dem Bühnenbildner Henning Schaller und eben Maik Hamburger über ihre Erinnerungen an jene Herbsttage des Jahres 1989. „Es geht mir unheimlich auf den Senkel, dass das alles immer so ideologisch betrachtet wird“, steigt Wachowiak – nach der „Besonderheit des DDR-Theaters“ gefragt – gleich schwungvoll in die Debatte ein. Auch Bendokat, die seit 1965 am DT engagiert ist und völlig zu Recht sieben Intendanten überdauert hat – spricht lieber von komplexen, auch ästhetischen Prozessen als von „vordergründig Politischem“, etwa in Zusammenhang mit Heiner Müllers brisanter „Lohndrücker“-Inszenierung 1988, in der sie die HO-Verkäuferin spielte.

Und es geht gut weiter: Wachowiak setzt mit einem Hieb gegen jene Nostalgiker nach, die die „politische Relevanz“ des DDR-Theaters am liebsten umstandslos auf die heutige Bühnenkultur übertragen würden, dabei aber die gesellschaftspolitischen Kontexte ausklammern: Heute sei es logischerweise schwerer, wirklich öffentlichkeitswirksame Reibungspunkte zu finden, als in einem diktatorischen System mit einem „klaren Feind“.

Würdigung ohne Verklärung

Überhaupt sitzt da im DT eine wohltuend differenzierte Zeitzeugenrunde beisammen, die die großen Verdienste des DDR-Theaters angemessen würdigt, ohne in Verklärungen abzudriften: die andernorts undenkbaren gesellschaftskritischen Zungenschläge, die Aufführungen, die gegen Zensurmaßnahmen durchgesetzt wurden, oder den speziellen Dialog mit dem Publikum.

Maik Hamburger erinnert daran, dass die Gleichung „wir gegen die“ schon deshalb viel zu kurz greift, weil „die Intendanten meist in der Partei waren“: Die notgedrungene Nähe zu den (Kultur-)Behörden habe auch Freundschaften zwischen Theaterleuten und Politikern gezeitigt.

Man hätte solchen Zwischentönen gern noch länger gelauscht, aber Moderator Schäbitz lenkt das Gespräch zusehends auf Details zur (relativ gut aufgearbeiteten) großen Alexanderplatz-Demo vom 4. November 1989 und auf jene Versammlung DDR-weiter Theaterschaffender am 15. Oktober 1989 im Deutschen Theater, die dieser Demonstration vorausging. Jutta Wachowiak erzählt also noch einmal, wie sie auf Initiative des einige Wochen zuvor gegründeten Neuen Forums an jenem 15. Oktober unter frenetischem Beifall die Anmeldung einer systemkritischen Kundgebung vorschlug und damit den Grundstein für die legendäre Alex-Demo legte.

Nicht dass man diese Anekdoten nicht immer wieder gern hörte. Aber sie hinterlassen letztlich doch ein eingeschränktes Bild von den 89er-Geschehnissen: Die systemkritische Resolution etwa, die Musiker von Tamara Danz (Silly) über Toni Krahl (City) bis zum Schlagersänger Frank Schöbel schon ab September 1989 vor ihren Konzerten verlasen, bleibt im Gespräch genauso ausgespart wie die brisante, der DT-Zusammenkunft vom 15. Oktober strukturell vorausgehende Versammlung Theaterschaffender in der Berliner Volksbühne, die am 7. Oktober 1989 quasi im Schatten der aufgefahrenen Panzer für die offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR stattfand.

Die Ausstellung „Von der Bühne auf die Straße – Theater und Friedliche Revolution in der DDR“, die 13 ausgewählte Inszenierungen mit Szenenfotos, Probennotaten und staatlichen Dokumenten in den Blick nimmt, schaut dann auch über Berlin hinaus. Dass hier viele der „üblichen Verdächtigen“ vertreten sind, ist logisch: von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ 1990 am DT über Thomas Langhoffs Volker-Braun-Inszenierung „Die Übergangsgesellschaft“ 1988 am Gorki bis zu Christoph Heins „Rittern der Tafelrunde“ im April 1989 in Dresden. In den Dokumenten und Video-Interviews mit Zeitzeugen, die Schäbitz und Jutta Braun zusammengestellt haben, finden sich dennoch interessante Details. Zum Beispiel die selbstkritische Einlassung der Schauspielerin Johanna Schall, dass die Bühnenkünstler – sinngemäß – relativ spät auf die konkreten politischen Ereignisse vom Herbst 1989 reagiert hätten. Oder die Tatsache, dass Heiner Müller gern mal mit Lektoren „um zwei Flaschen Scotch“ wettete, ob die DDR-Behörden Aufführungen seiner Texte genehmigen würden. Und schließlich die postrevolutionär-verkaterten, prophetischen Probennotate des damaligen Dramaturgiemitarbeiters Thomas Martin zu Müllers „Hamletmaschine“ vom 17. November 1989, acht Tage nach dem Mauerfall: „Zusätzlicher Terror durch die Öffnung der Grenzen, Verlust der Privilegien, Knacks im Elitebewusstsein, erneute Bestätigung, dass das Volk (wer ist das noch) dumm ist; Profilierung neuen Ekels“: sehens- und lesenswert.

Die Ausstellung ist bis zum 9. November jeweils ab eine Stunde vor den Abendvorstellungen bis Vorstellungsende geöffnet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false