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Theater: Vierzig Stunden bis zum Showdown

Christine Wahl rekrutiert terroristischen Nachwuchs.

Eine Philosophieprofessorin – die Ehefrau eines ranghohen Politikers – wird von Geiselnehmern entführt. Das ist die Ausgangslage von Sergi Belbels vor elf Jahren uraufgeführtem Stück „Das Blut“. Während der unvermeidliche, über die Medien ausgetragene Machtkampf beginnt, erfährt die Frau von ihren unmaskierten Bewachern, dass ihr bis zur angedrohten Hinrichtung eine Lebensfrist von vierzig Stunden bleibt. Darauf soll alle zehn Stunden mit der Abtrennung eines Körperteils hingewiesen werden: Zur angekündigten Zeit liefern die Geiselnehmer ein Ohr, einen Finger und schließlich einen Fuß der Frau an mehr oder weniger unbeteiligte Menschen in der Öffentlichkeit.

Natürlich liegt es nahe, dass Belbel, der katalanische Autor, Regisseur und Intendant des Nationaltheaters Barcelona, bei seinem Drama an die Eta dachte. Er selbst blieb allerdings sehr darauf bedacht, „Das Blut“ durch derartige Konkretionen nicht unnötig zu verengen.

Auch Jörg Paschke, der Regisseur des Künstlerteams „frappant productions“, interessiert sich für das „Parabelhafte der Entführungssituation“. Im Tisch – dem Theater im Schokohof (Ackerstr. 169/170) – wird er nach „dem Wandel von Persönlichkeitsstrukturen“ fragen, „wenn Gewaltbereitschaft und gegenseitige Abhängigkeiten in den sich wandelnden Sozialsystemen zunehmen.“ Im Vordergrund von Paschkes Inszenierung (12.-15. und 19.-22.8., 21 Uhr) steht die Beziehung der entführten Frau zu einem traumatisierten Kind, das bei den Geiselnehmern aufwächst. Das Mädchen, dessen Eltern auf die gleiche Weise gestorben sind, die der Professorin droht, soll gleichsam als terroristischer Nachwuchs rekrutiert werden. Die Geisel richtet all ihre verbleibende Energie auf die Kleine.

Abgesehen von diesem „Katz-und-Maus-Spiel“, sagt Paschke, das das Kind mit der Entführten spielt, wolle er den Stoff sowohl mit Theorie-Texten konfrontieren als auch zu verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und geografischen Kontexten in Beziehung setzen. Oder – um mit dem Regisseur selbst zu sprechen – „aktuelle Pflöcke in die Parabel einschlagen“. Einer dieser „Pflöcke“ wird der Rekurs auf den Völkermord in Srebrenica sein, ein anderer die Videosequenz „Massud“. Dort spricht ein Ingenieurswissenschaftsstudent aus Kabul in einem poetisch verfremdeten Text über seine traumatisierenden Erfahrungen.

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