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Kultur: Theater zu Parkhäusern

Ulf Schirmer dirigiert Strauss’ „Arabella“ an der Deutschen Oper Berlin

In der hauptstädtischen Musiktheaterlandschaft haben die Konkurrenten in den letzten Jahren konsequent ihr Markenprofil geschärft: das eine als hippe Location für Event orientierte Besucher unter 40 Jahren, das andere als gesellschaftlicher Treffpunkt für die Zielgruppe über 40. Die Komische Oper hat mit Radikalregisseuren und einem Ensemble, das bedingungslos alles mitmacht, den Image- Turnaround geschafft, die Staatsoper konnte mit einem geschickten Marketingmix ihren Ruf als Haus der großen Namen festigen – durch die kontinuierliche Arbeit ihres auratischen Chefs Daniel Barenboim auf der einen und medienwirksame Verpflichtung berühmter Operngreenhorns auf der anderen Seite.

Da blieb Kirsten Harns, der Intendantin der Deutschen Oper eigentlich nur übrig, die einst so stolze 1800-Plätze-Bühne an der Bismarckstraße zur Hausmarke, zum Billiglabel der Berliner Opernstiftung zu machen. „Gut und günstig“ oder auch „prima leben und sparen“ heißen im Supermarkt die Produktlinien für Leute, die wenig Wert auf die Verpackung legen. Nicht hinter jedem weltbekannten Namen verbirgt sich schließlich zwingend bessere Qualität.

Ernsthafte Kunst von ehrlichen Kulturarbeitern gemacht, lautet Kirsten Harms’ Credo. Sie setzt auf solides Handwerk – und auf Meister von Morgen. Wenn sie berichtet, wie sie versucht hat, Pult- und Regiestars an ihr Haus zu locken und diese stets auf volle Terminkalender verwiesen, könnte man zynisch schlussfolgern: Der einstigen Kieler Theaterchefin fehlt schlicht das richtige Netzwerk, weil sie nie im internationalen Jetset-Festivalzirkus mitmachen wollte. Man kann sich aber auch freuen, wenn ihr Konzept für Überraschungen sorgt, wie am Sonntag bei der „Arabella“-Premiere. Natürlich war das 1933 uraufgeführte Stück, die finale Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, ein Wunsch von Christian Thielemann gewesen. Nach dem wütenden Abschied des Generalmusikdirektors blieb es wegen der langfristigen Verpflichtungen im Klassikbusiness als führerloser Programmposten in der Planung zurück.

Einspringer Ulf Schirmer jedoch erweist sich zum allgemeinen Jubel nun als vollwertiger Ersatz. Hatte er vor drei Wochen an der Komischen Oper noch mit der Akustik gehadert und die „Bohème“- Sänger durch willkürliche Ritardandi in Atemnot gebracht, gelingt es ihm hier sofort, jenen bittersüßen Endzeitstimmungston anzuschlagen, der das Strauss’sche Werk erst interessant macht. Beseelt wie sonst nur unter ihrem Ex-Chef folgt das Orchester Schirmer durch die scheinbar ziellos mäandernde Partitur.

An rauchgeschwärzten, bröckelnden Putz in einem wilhelminischen Ballsaal gemahnen diese Klangfarben, morbid und anrührend zugleich, ein einlullendes Auf und Ab, über dem sich Michaela Kaunes Sopran hell und frei aufschwingen kann. Sie ist die zweite „kleine Lösung“ des Abends – und die zweite Überraschung. Nachdem die ursprünglich verpflichtete Adrianne Pieczonka wegen einer Babypause ausfiel, entschied sich Harms, die Titelrolle aus dem eigenen Ensemble zu besetzen. Mit fast schüchterner Vorsicht setzt Michaela Kaune Note für Note, so wie sie ganz behutsam über die Szene schreitet in ihren Pumps, eine Suchende, eine heimlich Wissende aber auch, die einzige menschliche Stimme unter lauter Lemuren der k.u.k. Monarchie.

Konnte sich Kirsten Harms bislang darauf berufen, sie habe die Konkursmasse ihrer Vorgänger zu verwalten, demonstriert sie mit dieser „Arabella“ erstmals, in welche Richtung sie das Haus ästhetisch lenken will. Selber wird sie als Chefin erst im Herbst inszenieren, aber sie schickt immerhin schon mal ihr Team vor: den Bühnenbildner Bernd Damovsky, mit dem sie verheiratet ist, und Alexander von Pfeil, der ihr als Chefregisseur aus Kiel gefolgt ist.

Die beiden stellen eine Kopie des legendären Michigan-Theatre aus Detroit auf die Bühne. 1926 im Wirtschaftsboom errichtet, ließ es die Rezession erst zum Pornokino und schließlich zum Parkhaus werden. Besser lässt sich das Ende einer goldenen Epoche, um die es auch bei Strauss und Hofmannsthal geht, kaum symbolisieren: Der spielsüchtige Graf Waldner hat im Wien der 1860er Jahre sein Vermögen durchgebracht. Seine hochwohlgeborene Ehre kann er nur retten, wenn er seine Arabella neureich verheiratet. Weil das Geld für die standesgemäße Präsentation von zwei Töchtern nicht reicht, wird die Zweitgeborene kurzerhand in Knabenkleider gesteckt und als Diener ausgegeben. Eine brutale Story aus Zeiten des entfesselten Kapitalismus, die bestens nicht nur ins heutige Amerika passt.

Leider verpufft die genialische Idee: In der autogerecht umgenutzten Bühnenruine nämlich lässt Alexander von Pfeil Rumstehtheater der altbackensten Sorte spielen. Das Einzige, was sich hier bewegt, sind die Personenkraftwagen, die im halben Dutzend über die Bühne rollen. Obwohl sich Hofmannsthals Figuren in ihrer schrulligen Individualität jedem Regisseur geradezu anbiedern, gelingt von Pfeil keine überzeugende Personenführung. Hier weiß niemand, wer er ist und wie er sich zu den anderen verhalten soll. Selbst gewisse handwerkliche Selbstverständlichkeiten missachtet der Regisseur nonchalant.

Hätte er seine blutleeren Protagonisten in ein librettogerechtes Rüschplüsch- Ambiente gestellt, ihm wären zumindest die Buhs der konservativen Operngänger erspart geblieben. Den progressiven Teil des Publikums aber musste er in jedem Fall erzürnen. Denn was hier zu sehen ist, liegt so weit unter den einstmals von Götz Friedrich gesetzten Standards des Hauses, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, ob man sich mehr über die leichtfertig verschenkte Aktualisierung der Geschichte und die einfallslose Lichtregie ärgern soll oder über den billigen Kitschtrick des unvermittelt zum Happyend einsetzenden Schneegestöbers auf der Bühne. Ein wüster Buh-Orkan jedenfalls empfängt auch Jean-Luc Chaignaud für seinen indiskutabel grobklotzigen Mandryka. Höflicher Applaus für die übrigen Beteiligten.

Die nächsten Vorstellungen am 16., 19., 23. und 27. Februar.

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