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Erbe und Vermächtnis. Szene aus dem She-She-Pop-Stück „Oratorium“.

©  Katrin Ribbe/Hebbel am Ufer

Theatergruppe She She Pop im HAU: Gleicher Wert für alle

Ist die Leistungsgesellschaft eine Lüge? Das Berliner Performance-Kollektiv She She Pop wird 25 – und feiert mit einem „Oratorium“ im Hebbel am Ufer.

Eigentum verpflichtet. Um nicht zu sagen: Eigentum ist Diebstahl. Fest steht jedenfalls: Eigentum spaltet. Und wer nicht gerade zu den Superreichen zählt, wird diesen Satz unterschreiben können, aus welcher Perspektive auch immer. Bloß, was folgt daraus? Der große Kampf für mehr Verteilungsgerechtigkeit? Das allgemeine Schulterzucken? Bei She She Pop keins von beidem. Das Berliner Performance-Kollektiv spürt den gesellschaftlichen Gräben zwischen Menschen mit Besitz und ohne lieber in Gestalt einer Chor-Arbeit nach, die das Publikum sehr konsequent miteinbezieht und im Laufe von zwei Stunden jede Menge bedenkenswerter Fragen aufwirft.

Gibt es ein „Wir“? Ist die Leistungsgesellschaft eine Lüge? Und was sind eigentlich die Voraussetzungen dafür, sich „diesen sozialen Theaterquatsch“ erlauben zu können? Mieke Matzke und Sebastian Bark, zwei der Gründungsmitglieder der Gruppe, sitzen nach dem Testdurchlauf mit 30 engagierten Probe-Zuschauern im Foyer des HAU 2 und bestätigen, was man nach vielen Jahren She-She-Pop-Sozialisation schon geahnt hat: dass auch ihr Stück „Oratorium“ von einer radikalen Selbstreflexion ausgegangen ist. „Einige von uns besitzen mittlerweile eine Eigentumswohnung, andere nicht. Einige werden erben, andere nicht“, beschreibt Matzke die Situation. „Was bedeutet das für ein Kollektiv, dessen Mitglieder sich in jeder Hinsicht als gleichwertig begreifen?“

Mit den Themen Erbe und Vermächtnis hat sich die in Gießen geschulte Gruppe schon in „Testament“ auseinander gesetzt, dem großen Hit, der sie vor acht Jahren in ganz neue Sphären des internationalen Tourbetriebs katapultierte. Darin standen die Performerinnen mit ihren eigenen Vätern auf der Bühne und verhandelten auf der Folie von Shakespeares „King Lear“ Generationenkonflikte und falsche Erwartungen. Vom Persönlichen ins Universelle vorzudringen, das ist seit je eins der größten Talente von She She Pop.

Das Stück hängt stark von der Beteiligung des Publikums ab

Die Produktion war in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Mit „Testament“ vollzogen die Theatermacherinnen seinerzeit nämlich auch eine Abkehr von den oft improvisierten, ziemlich interaktiven Arbeiten der frühen Jahre, in Spötterkreisen gern „Mitmachtheater“ genannt. Nicht aus Überdruss, sondern wegen eines gefühlten Missverständnisses. „Der Kontakt mit dem Publikum hatte bei uns immer mit Momenten von Ohnmacht und Kontrollverlust auf beiden Seiten zu tun“, erklärt Bark. „Viele interaktive Formate, die damals in allen möglichen Medien aufkamen, haben aber suggeriert: Wenn du mitmachen darfst, bist du frei und individuell. Das fanden wir völlig falsch!“

Mit „Oratorium“ wagt die Gruppe sich erstmals wieder an ein Stück, das stark von der Beteiligung des Publikums abhängt. Viel mehr soll nicht verraten werden, das Projekt lebt auch vom Überraschungsmoment. Gesagt werden darf, dass es jedem offenstehen wird, aus der Vereinzelung und Heimlichkeit herauszutreten, die Eigentum so mit sich bringt. Man geht ja gewöhnlich nicht damit hausieren, dass man ein auskömmliches Erbe erwartet und es sich deswegen leisten kann, beispielsweise in der freien Szene Theater zu machen.

„Oratorium“ zum Beispiel ist ein Work-in-progress-Projekt

Was geradewegs in die Ambivalenz führt, in der sich She She Pop befindet. Das Kollektiv feiert im Herbst dieses Jahres seinen 25. Geburtstag. Die Gruppe ist längst eine feste Größe und nebenbei bekannt dafür, Löhne auf Stadttheater-Niveau zu zahlen – um eben nicht der viel beschworenen Selbstausbeutung in Künstlerkreisen Vorschub zu leisten.

Dank Förderung und Vernetzung haben die Mitglieder teils luxuriöse Arbeitsbedingungen. „Oratorium“ zum Beispiel ist ein Work-in-progress-Projekt, das vor der Berliner Premiere auf Stationen unter anderem in Mexiko, Polen und Bulgarien erprobt werden konnte. Wobei interessanterweise in den postsozialistischen Ländern das Thema „Erbe“ kaum eine Rolle spielte. „Zu Reichtum gekommen zu sein, eine Eigentumswohnung zu besitzen, ist dort viel relevanter“, erzählt Bark.

Doch trotz (oder gerade wegen) der Spitzenposition, die She She Pop im freien Theater einnimmt, „stellt sich für manche von uns die Frage, wieso das Geld nicht reicht für die Altersvorsorge“, so Matzke. Ein Thema, das ja an Gewicht gewinnt für die gesamte Szene, nicht nur für Pionier-Gruppen wie She She Pop oder auch Gob Squad, die mittlerweile ein Vierteljahrhundert im Geschäft sind. Musiker altern mit ihrem Publikum, Schriftsteller auch. Aber Performer?

Unterschied zwischen freier Szene und Institutionen schärfen

Ende der neunziger Jahre hat mal jemand zu Mieke Matzke gesagt: „Sie machen She She Pop ja in zehn Jahren sowieso nicht mehr.“ Fand sie damals absurd. Hat sich ja auch nicht bewahrheitet. Allein, was bringt die Zukunft?

Vielleicht, glaubt Sebastian Bark, ließe sich ja anhand der Altersfrage der vermeintlich längst verwässerte Unterschied zwischen freier Szene und Institutionen wieder schärfen: „Im Stadttheater werden immer noch Geschichten erzählt von Leuten, die attraktiv sind und irgendetwas Aufregendes erleben müssen.“ Dazu fühlen sich She She Pop nicht gerade verpflichtet. „Wir führen Auseinandersetzungen mit den Zuschauern über unsere und deren Lage“, stellt Mieke Matzke klar. „Deswegen besteht viel Hoffnung, dass wir unser Theater auch in zwanzig Jahren noch werden machen können.“

Oratorium: 9.2. (Premiere), 10.–12.2., wieder 23.3.–25.3., HAU 2

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