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Theaterkritik: Der Graf als Hausmeister

Im Beliebigkeitsdunkel: Zum Abschluss des Kleist-Festivals zeigt das Maxim Gorki Theater „Die Familie Schroffenstein" unter der Regie des erfolgreichen Jungregisseurs Antú Romero Nunes. Mit diesem Stoff aber hat er sichtbar zu kämpfen.

Am Anfang steht der Schauspieler Ronald Kukulies als Graf Rupert von Schroffenstein an der Rampe und schwört Rache. Trotz seines golddurchwirkten Samtmäntelchens schafft er es mühelos, die Blaublüter-Ansprache mit dem Charme eines Berliner Hausmeisters zu verbinden, während er das Ableben seines jüngsten Sohnes beklagt.

Dieser Todesfall setzt in Heinrich von Kleists dramatischem Erstling „Die Familie Schroffenstein“ eine mörderische Verdächtigungsmaschinerie in Gang. Ein Erbvertrag zwischen den Schroffensteins aus dem Hause Warwand und denen aus dem Hause Rossitz schreibt fest, dass beim Aussterben der einen Linie der anderen der komplette Besitz zufällt. Logisch, dass der Rossitzer Graf Rupert sich den Warwander Grafen Sylvester zum Mörder seines kleinen Sohnes zurechtredet.

Im Folgenden schaukelt sich das gegenseitige Misstrauen derart hoch, dass die heimlich ineinander verliebten Teenager Agnes aus dem Hause Warwand (Julischka Eichel) und Ottokar aus dem Hause Rossitz (Paul Schröder) bei ihrem Versöhnungsversuch beider Linien nur tragisch scheitern können: Rupert und Sylvester töten schlussendlich, einer optischen Täuschung aufsitzend, jeweils ihr eigenes Kind. Kurz darauf stellt sich heraus, dass der angeblich ermordete jüngste Rossitz-Spross ohne Fremdverschulden beim Spielen ertrunken war.

Diese komplizierte, von Kleists Beschäftigung mit Kants Erkenntniskritik inspirierte Romeo-und-Julia-Tragödie hat sich der junge Hausregisseur des Maxim Gorki Theaters Antú Romero Nunes zum Abschluss des Kleist-Festivals vorgenommen. Die 28-jährige Regiehoffnung – 2010 bei der Kritikerumfrage des Fachblatts „Theater heute“ zu Recht als Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt – hatte anhand von Schillers „Geisterseher“ am Gorki oder Tom Lanoyes Antiken-Remake „Atropa“ am Thalia Theater Hamburg überdurchschnittliche Intelligenz und Feinnervigkeit bei der Vergegenwärtigung kanonischer Stoffe bewiesen, ohne in die Unterkomplexitätsfalle zu tappen.

Mit den Schroffensteins indes hat Nunes sichtlich zu kämpfen. Schon Stéphane Laimés Bühne – ein mit Samtvorhang anironisiertes Theater im Theater – erweist sich als problematisch. Vor zwei Wochen hatte im selben Szenario Jan Bosses Kleist-Festival-Beitrag „Das Käthchen von Heilbronn“ Premiere. Ob die professionellen Kleist-Exegeten, die Agnes gern als Vorläuferin dieser unbedingten Grafen-Stalkerin einordnen, oder andere Erwägungen Bosse und Nunes auf die Gemeinschaftsbühnen-Idee gebracht haben, sei dahingestellt. Fakt ist: Sie war nicht gut. Denn Kleists komplexe Scheins- und Seins-Dialektik umfasst weit mehr als die vergleichsweise beliebig einsetzbare (und auch in Nunes’ bisherigen Arbeiten hoch frequentierte) Show in der Show, die Laimés Bühne suggeriert. Dass der Regisseur und sein Schauspieler-Quintett sich dessen offenbar durchaus bewusst sind, löst das Problem freilich nicht, sondern führt lediglich dazu, dass Laimés szenische Generalmetapher irgendwie halbherzig umspielt bis anstrengungsreich vermieden wird.

Stattdessen versucht Nunes, den Showbühnen-Rahmen zu einer Art Symmetrieachse zwischen den verfeindeten, von Kleist bewusst spiegelbildlich konstruierten Familien umzuwidmen. Womit wir beim konzeptionellen Grundgedanken des Abends wären: Beide Grafen-Ehepaare werden vom selben Darsteller-Duo gespielt. Was als szenische Verschärfung der Kleist’schen Dialektik an-, aber nicht präzise zu Ende gedacht ist, erweist sich in der Praxis schon deshalb als verengende Krux, weil Ronald Kukulies und Hilke Altefrohne die symmetrische Bezogenheit beider Familien aufeinander als schauspielerische Gleichförmigkeit missverstehen. Kukulies’ Switching vom hohen Kleist-Darsteller zum Durchschnittstypen von nebenan – eben vom Grafen zum Berliner Hausmeister – bleibt ebenfalls im Beliebigkeitsdunkel. Und weitere von Nunes vorgenommene Doppel- und Mehrfachbesetzungen scheinen endgültig nur noch einem einzigen diffusen Verblendungszusammenhang zu gehorchen. Der läuft erstens Gefahr, Kleists dialektisches Konstrukt in einen Allgemeinplatz aufzulösen. Und schnürt ihm zweitens die dramatische Luft ab.

Nunes nimmt viele Fäden auf – die Sprache als Sündenfall, mithin Kriegskeimzelle par excellence, die trügerische Macht des vermeintlich Faktischen usw. Allerdings verheddert er sich in diesen Fäden so sehr, dass man am Ende nicht so recht weiß, was er nun eigentlich aus den Schroffensteins herausgelesen hat.

Andererseits: Während Nunes bei seinen letzten Arbeiten virtuos mit dem Theater-Zauberkasten gespielt hatte und in den Einzugsbereich des allzu Gefälligen zu geraten drohte, ist hier zumindest wieder ein ,wenn auch gescheiterter, Versuch in Richtung konzeptioneller Konzentration und Verdichtung erkennbar. Nunes scheint künstlerisch auf der Suche zu sein. Nicht das Schlechteste, was man von einem 28-jährigen Regisseur sagen kann.

Wieder am 2. und 26. Dezember.

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