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Spielzeuge. Effi und Imstetten. Foto: J. Fieguth

© Joachim Fieguth

Theaterkritik: Vergeblichkeit ist Trumpf

Ein lockeres, melancholisches, vor allem aber eigenständiges Kammerspiel: Jorinde Dröse gelingt am Gorki eine Adaption von Fontanes „Effi Briest“.

Das nennt man wohl Ironie. Das Maxim Gorki Theater hat bestimmt ein Dutzend Romanadaptionen auf die Bühne gebracht, von Thomas Manns „Zauberberg“ über Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ bis zu Frischs „Homo Faber“. Der Schulstoff auf Theaterbrettern – das war Alleinstellungsmerkmal, die Gorki-Marotte der letzten Zeit. Mit durchwachsenem Ergebnis. Meist merkte man den Adaptionen die Schwierigkeit an, die so ein Spagat zwischen epischem Handlung-Gerechtwerden und notwendiger Zuspitzung mit sich bringt. Unterstützt von Musik, Video oder installierten Erzählern, die über Zeitsprünge hinweghalfen, lächelten diese Abende, Schweißperlen auf der Stirn, angestrengt ins Publikum.

Inzwischen sieht es so aus, als habe das sympathisch quecksilbrige Gorki ein neues Spielzeug entdeckt: Facebook. Vor einigen Tagen fand Gorkis erste Facebook-Premiere statt, Fontanes „Effi Briest“. Mit Figurenprofilen, Uploads und der Möglichkeit, zum Beispiel über Effis Hochzeitskleid abzustimmen. Toll. 1200 User waren online dabei, viele Zeitungen berichteten (siehe TSP vom 11.1.) und saugten damit naturgemäß die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Premiere ab. Prompt gelingt der Regisseurin Jorinde Dröse nun ein lockeres, melancholisches, vor allem aber eigenständiges Kammerspiel, dessen großer Vorzug darin besteht, dass man keinen Moment spürt, dass hier ein Roman umgearbeitet wurde – trotz ausgiebigen Gebrauchs atmosphärischer Videoeinspielungen. Die 17-jährige Effi heiratet den viel älteren Instetten. Dass diese Ehe nicht glücklich wird, weiß man gleich, als Wilhelm Eilers als Effis Vater besorgt den Charakter seiner Tochter umreißt: emotional, aber sprunghaft, ehrgeizig und unterhaltungssüchtig. Kurz: zu unreif. In dem Haus in Kessin, in das sie mit ihrem Gatten nun zieht, gruselt und langweilt sie sich. Effi geht ein Verhältnis mit dem charmanten Crampas ein, das dazu führt, dass Instetten, als die Sache nach sechs Jahren – die Familie lebt längst in Berlin – herauskommt, Crampas im Duell erschießt und seine Frau verstößt.

Auch Jorinde Dröse erzählt Fontanes Geschichte eins zu eins – nur verlagert sie ihren Schwerpunkt durch kleine, aber geschickte Eingriffe von der moralischen Frage des Fehltritts (kaum noch aktuell) in Richtung allgemeiner Liebesunmöglichkeit durch Narzissmus (sehr aktuell). Denn bei ihr steckt nicht nur Effi – die großartige Anja Schneider ist mit kindlich hibbeliger Gier immer auf der Suche nach Ablenkung, nach dem ultimativen Gefühl, das betäubt, statt zu erfüllen – in einer selbstbezogenen Prinzessinnenblase. Auch Instetten – Robert Kuchenbuch in allzu statuarischer Statuarik – kann nicht lieben, weil er emotional noch an Effis Mutter hängt, die ihn vor Ewigkeiten nicht erhört hatte. Effi ist sein Ersatz, ein Spielzeug, das er sich nach Belieben formt. Und das er durch Distanz dafür straft, dass es die Kopie ist. Selbst, wenn sie wollte: Effi käme nie an ihn heran.

Geschickt unterstreicht Dröse die Geschlossenheit der beiden Welten durch eine Doppelbesetzung. Paul Schröder gibt mit unwiderstehlicher Albernheit nicht nur den Verführer Crampas, sondern auch die bösartige Johanna, Instettens langjährige, ebenfalls tief frustrierte Bedienstete, die auf subtile Weise die junge Frau quält und ihr zu verstehen gibt, dass der Herr des Hauses ohnehin ihr gehört. Was sogar auf doppelte Weise stimmt. Denn der tatsächliche Herr in diesem Haus heißt Vergeblichkeit.

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