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Hetze zur besten Sendezeit. In der Talkshow „Neden“ wird Hrant Dink bedroht. Regisseur Züli Aladaz stellt die Szene nach. Foto: Drama

© Bresadola/drama-berlin.de

Theaterkritik: Widersprecht mir!

Vielstimmig: Das Ballhaus Naunynstraße erinnert mit seinem aus fünf Performances bestehenden Gemeinschaftsprojekt „§ 301 - die beleidigte Nation“ an den 2007 ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink.

„Wer sich nur um Grabsteine kümmert, der muss aufpassen, dass er nicht bald selber einen hat“, ruft der aufgebrachte Nationalist Özcan Yeniçeri seinem Kontrahenten zu. Es ist eine offene Drohung, die sich bewahrheiten soll. Ausgesprochen zur besten Sendezeit, in der politischen Talkshow „Neden?“, „Warum?“. Dort sitzt wenige Wochen vor seiner Ermordung der türkisch-armenische Publizist Hrant Dink auf dem Podium. Oder eher: vor dem Tribunal. Diskutiert wird in der Sendung über den Paragrafen 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der bis 2008 die „Beleidigung des Türkentums“ mit Haftstrafen zwischen sechs Monaten und drei Jahren belegte. Seit einer Modifizierung heißt es: „Beleidigung der türkischen Nation“, aber was ändert das schon? Es ist ein Tatbestand, der schnell erfüllt sein kann. Ein Gesetz, das mundtot machen soll. Es traf bekanntlich auch den Schriftsteller Orhan Pamuk.

Hrant Dink ist 2005 – als erster überhaupt – auf der Grundlage dieses Paragrafen zu einem halben Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden, immer wieder ging die Justiz gegen ihn vor. Das vermeintliche Vergehen Dinks bestand vor allem darin, dass er den offiziell nie anerkannten Völkermord der Türken an den Armeniern stets beim Namen genannt hat.

Am 19. Januar jährt sich die Ermordung Hrant Dinks zum fünften Mal. Dieses Datum nimmt das Ballhaus Naunynstraße jetzt zum Anlass für ein Gemeinschaftsprojekt, das in fünf Performances dem mutigen Wirken dieses Journalisten nachspürt. Und die Befindlichkeiten eines Landes beleuchtet, das sich von ihm bedroht fühlte. Der Titel: „§ 301 – Die beleidigte Nation“. Entstanden sind brisante theatrale und filmische Miniaturen, die sich für den Betrachter auf seinem Parcours zum Mosaik aus Gedenken und Mahnung fügen.

Regisseur Züli Aladag spielt in der Auftaktperformance „Neden“ zentrale Szenen aus der vielsagenden Talkshow nach. Fabian Joest Passamonte gibt den Eiferer Özcan Yeniçeri, Mehmet Yilmaz tritt als Moderator Can Dündar auf, Aladag selbst übernimmt den Part von Dink. Ein Mann auf verlorenem Posten. Einer, der gegen das Geschrei der Empörten die Stimme der Vernunft zu erheben versucht. Der gegen die Wut, die ihn massenhaft trifft, den lange nachhallenden Satz wendet: „Widersprecht mir, widerlegt mich, bringt Neues vor, aber verbietet und verurteilt mich nicht.“ Aladag überblendet diese Spielszenen mit Sequenzen aus dem Film „Aghet – Ein Völkermord“, der von der Erschießung Hrant Dinks vor dem Verlagshaus seiner armenisch-türkischen Zeitung „Agos“ ausgeht. Das Bild des Leichentuchs auf dem Trottoir, mit hervorlugenden, zur Seite verkehrten Schuhen, brennt sich ein. Von „Schüssen auf die Türkei“ sprach Ministerpräsident Erdogan nach der Tat. Zur Beerdigung erschien er nicht.

Um die Wirkung der Bilder geht es auch in Hans-Werner Kroesingers Beitrag „The TV Next Door“. Der Dokumentartheater- Regisseur verteilt die Zuschauer auf drei Räume, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Café. In allen läuft die „Neden“- Sendung, in der Dink ganz am Rande platziert ist. Kroesinger hebt die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum auf, indem er ein streitendes Paar (Melek Erenay und Mehmet Yilmaz) über die Wände hinweg Dinks Auftritt diskutieren lässt. Er markiert die unterschiedliche Haltung, die man zu einer TV-Übertragung einnimmt, je nachdem, wo und mit wem man sie schaut. Es gibt hier keine passiven Zuschauer. Sondern nur teilnehmende Beobachter, die Position beziehen müssen. Kroesinger hat seine intelligente Installation mit subtilen Verweisen gespickt. Mit einer Erstausgabe von Elif Shafaks Roman „Der Bastard von Istanbul“ etwa, deren Cover ein Granatapfel ziert, Symbol für die Armenier – und die heute nicht mehr verkauft werden darf.

Regisseur Maraz Bezar hat ebenfalls eine Performance inszeniert, „Spiegelungen“ heißt sie. In einem Glaskasten treffen Hrant Dink (Peter von Strombeck) und Ogün Samast (Paul Wollin) aufeinander – jener Attentäter, der zum Zeitpunkt der Tat 16 Jahre alt war. Die Hintergründe sind bis heute nicht vollständig erhellt. Bezar montiert Originalzitate Dinks und Auszüge aus den Verhörprotokollen Samasts zu einer beklemmenden Begegnung, die blindwütigen Nationalismus und das Mühen um Differenzierung in Kontrast setzt.

Es ist die Vielstimmigkeit, mit der „§ 301“ besticht. Die Vielseitigkeit der Chronik eines angekündigten Todes. Die Künstlerin Silvina Der-Meguerditchian blickt in ihrem berührenden Filmessay „Deep Sea Fish“ hinter Istanbuler Fassaden, Regisseur Hakan Savae Mican wählt in „Reaching the Level of Contemporary Civilizations 2“ die Form der Groteske. Er greift die Sehnsucht der Türken auf, „das Niveau der modernen Zivilisationen zu übertreffen“, das durch die Reden von Atatürk bis Erdogan spukt. Und stellt dagegen unter anderem den Text der türkischen Nationalhymne mit ihrem archaischen Blut- und Heldenpathos. Es ist der Blick auf ein Land, das bis heute seine Identität sucht. In dem Hunderttausende nach der Ermordung Hrant Dinks auf die Straße gingen. Und Millionen schwiegen.

wieder Mo-Mi 16.-18.1., 20 Uhr, Fr/Sa 20./22.1., 19 u. 21.30 Uhr

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