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Im Bau. Durch Olaf Altmanns Bühnenbild kommen die Schauspieler nur kriechend vorwärts, manchmal begräbt einer den anderen unter sich. Foto: Joachim Fieguth

© Joachim Fieguth

Theaterkritk: Schächte der Hemmungslosigkeit

Beklemmend und beeindruckend wuchtig: Michael Thalheimer inszeniert Tolstois „Die Macht der Finsternis“ an der Schaubühne

Es kommt aus der Ferne und es bleibt auch fern. Oder kommt es aus der Tiefe und geht deshalb auch tief? Wie ein irritierender Solitär der Unbedingtheit ragt das Theater Michael Thalheimers in die Inszenierungslandschaft des gemütlichen Ich-sag-es-mal-so. Gerade ist das Theatertreffen zu Ende gegangen, da inszeniert Thalheimer, die letzten Jahre am Deutschen Theater zu Hause, zum ersten Mal an der Schaubühne. „Die Macht der Finsternis“ von Tolstoi. Und man reibt sich die Augen. Nicht nur wegen dieses beeindruckend wuchtigen Abends, sondern auch wegen der vielen mittelprächtigen Inszenierungen, die man gerade auf dem Theatertreffen als das deutschsprachig weit Beste präsentiert bekam. Nach diesen anderthalb kühnen Stunden weiß man wieder, was Dringlichkeit ist – und wie sinnfällige Reduktion funktionieren kann.

Aber was war als Erstes da? Das großartige Bühnenbild von Olaf Altmann, der die Figuren durch zwei niedrige Gänge in die permanente Kriechhaltung, ins ewige Gebücktsein zwingt, in eine vor- oder nachzivilisatorische Nagerexistenz in den lichtlosen Schächten der Hemmungslosigkeit. Oder der Satz aus Tolstois Tagebüchern, der im Programmheft zitiert wird und aus dem heraus sich das ganze Bühnengeschehen beschreiben lässt: „Dem Körper kann man leicht widerstehen, der Phantasie jedoch, die auf den Körper einwirkt, nur schwer.“

Tolstoi erzählt in seinem ersten Theaterstück von 1886, was passiert, wenn die Fantasie verrückt spielt, wenn eine quasi mittelalterliche bäuerliche Welt durch den städtischen Einfluss die Ordnung des Glaubens verliert. Das Böse nistet sich in den Köpfen ein, in Gestalt einer alles mit sich ins Verderben reißenden Gier. Eine Sünde (wie etwa der Ehebruch) zieht die nächste nach sich (wie etwa das Vergiften des eigenen Mannes, um an Hof und dessen Geld zu kommen) und führt schließlich zum Mord des eigenen neugeborenen Kindes, was dann immerhin zur Läuterung der Hauptfigur führt, des ehemaligen Bauernknechts Nikita (Christoph Gawenda).

Thalheimer wiederum zeigt die Entstellung, die dieser Geist in und an den Körpern anrichtet. Er komponiert schmerzhafte Tableaus der Verrenkung, des Fratzenhaften und Verwachsenen, Wimmelbilder eines rattenhaften Überlebenskampfes, deren Wirkung umso stärker ist, weil die barocke, goyahafte Überzeichnung von einer puristischen Strenge eingefasst wird.

Olaf Altmann hat also in eine monumentale, nah an den Bühnenrand gerückte Wand zwei erbärmlich flache Stollen fräsen lassen, die wie unterirdisch auf einen drei mal drei Meter winzigen Bau zulaufen, eine Sterbekammer, in der der kranke Bauer Petr (Kay Bartholomäus Schulze) sich die Seele aus dem Leib hustet und brüllt. Die Konstruktion mit den niedrigen Schächten, in denen die Schauspieler nur kriechend oder rutschend vorwärtskommen, erinnert stark an Altmanns Bühnenbild zu Thalheimers „Ratten“-Inszenierung vor einigen Jahren im DT. Nur ist die neue Konstruktion noch beklemmender, denn der Raum in der Mitte ist so beengt, dass die Schauspieler übereinander klettern müssen und der eine den anderen buchstäblich unter sich begräbt.

Auf dieses Buchstäbliche kommt es an. Da die Figuren kaum noch menschliche Züge zeigen, tragen die sich windenden Figuren meist seltsame Fell- oder Ledermützen mit bemalten Stofffetzen, die die Gesichter verdecken. Da die Sprache nur noch zum Lügen, Betrügen, Intrigieren und Beschimpfen dient, wird hauptsächlich geschrien – und das stört nicht, sondern passt, oh Wunder! Da die Hände nur dazu da sind, den Besitz des anderen an sich zu reißen, Frauen gefügig zu machen oder Kinder zu erwürgen, erscheinen sie im harten Licht groß wie Schaufeln. Und da es hier um Tod und Niedergang (und späte Reue) geht, hört man die ganze Zeit die an Kirchenorgelklänge erinnernden Hintergrundakkorde von Bert Wrede, an- und abschwellend wie den Atem eines übergeordneten Prinzips.

Und selten hat man das Schaubühnenensemble so ernst und akkurat, so stark gesehen: Eva Meckbach als Anisha, die zweite Frau des Bauern, die erst etwas mit Nikita anfängt, um dann selbst von ihm betrogen zu werden: bebend vor Wut und Empörung. Judith Engel als giftmischende Nikita-Mutter Matrjona entfaltet eine beängstigend eisige Dämonie. Lea Draeger als betrogene Tochter und benutzte Geliebte Akulina: sticht mit ihrer spitz keifenden Stimme auf Stiefmutter und Geliebten ein wie mit einem Messer. Oder Thomas Bading, der als Nikitas Vater Akim und Gegenfigur des Guten seinen Sohn auf den rechten Weg zurückbringen will. Er stottert und zittert beim Sprechen – als sei alles noch viel schlimmer. Als sei auch der Körper des Guten längst von der Gnadenlosigkeit verseucht und stoße nun die Rede von Glauben und Barmherzigkeit ungläubig wie einen Fremdkörper ab.

Wieder am 24. Mai, 17.–20. Juni

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