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Ein Verlorener im Home-Office. Der österreichische Autor Franzobel.

© Arne Dedert/dpa

Theaterleute in der Pandemie: „Wenn wir so weiterfressen, kriegen wir eine Postleitzahl“

Das Jahrbuch der Zeitschrift Theater reflektiert den künstlerischen (Nicht-)Alltag während Corona. Mit klugen Texten und lustigen Anekdoten.

„Manchmal träume ich, außer dem Paketzusteller sind alle tot. Vielleicht sind die ganzen Pressekonferenzen Aufzeichnungen? Virologen, Statistiker, Politiker… “.

Mit solchen post-apokalyptischen Gedanken trägt sich der große Dichter Franzobel in seinem Fieber-Monolog „Die Säuberung“. Ein Verlorener im Homeoffice inklusive Pendlerpauschale zwischen Kühlschrank und Schreibtisch zählt da seine Tage, den Inhalt der Streichholzschachtel und die zugelegten Pfunde („Wenn wir so weiterfressen, kriegen wir noch eine Postleitzahl“), während draußen Dauerausgangssperre herrscht.

Ist auch besser so. Schließlich laufen da kleine Virenschleudern, sprich: Kinder, unbeaufsichtigt rum. „Tatsächlich ist mir diese minderjährige Selbstmordattentäterin bis auf einen Meter nahegekommen. Kann die nicht lesen? Abstand halten!“

Franzobels „Säuberung“ ist unter Pandemiebedingungen fürs Wiener Burgtheater entstanden. Jetzt hat der Text auch Eingang ins Jahrbuch 2020 der Zeitschrift Theater heute gefunden, das – wenig überraschend – ganz im Zeichen der Corona-Krise steht und entsprechend den Titel „Die große Pause“ trägt.

Es finden sich darin viele schöne Bilder der Tristesse: von hygienekonform entstuhlten Zuschauerräumen, einem leeren Schaukasten vor der Volksbühne, einer gespenstisch verwaisten Abflugshalle. Und noch mehr kluge Texte von Theatermenschen sind zusammengetragen worden, die noch die letzte Facette pandemiebedingter Betriebs-Sinnkrisen ausleuchten. Berliner-Festspiele-Intendant Thomas Oberender zum Beispiel fordert ein „esoterisches Theater“, das er allerdings nicht spinnert, sondern irgendwie hoch intellektuell verstanden haben möchte. Da darf man schon gespannt sein.

Trotz Corona lässt man sich die Umfrage zu den Höhepunkten nicht nehmen

Im Gegensatz zur französischen Zeitschrift France Football, die in diesem Ausnahmejahr partout keine Weltfußballerwahl abhalten mag, hat es sich Theater heute erfreulicherweise auch nicht nehmen lassen, allem Corona-Unbill zum Trotz die traditionelle Kritiker-Umfrage zu den „Höhepunkten“ und Spitzenleistungen der Saison zu veranstalten.

Der Ballon d’Or für das „Theater des Jahres“ geht dabei an die Münchner Kammerspiele des frisch geschiedenen Intendanten Matthias Lilienthal, was nicht wirklich überrascht – schließlich hat es der Berliner zuletzt doch noch eindrucksvoll geschafft, das Maximilian-Straßen-Publikum mit Freie-Szene-Ästhetik und seiner T-Shirt-Kollektion zu versöhnen.

Selbst die Nachfolgerin Barbara Mundel – mit der Lilienthal im Jahrbuch ein entspannt-vertrautes Parlando performt – wäre „neugierig gewesen, wo die Reise noch hingegangen wäre“. Tja nun. Jetzt muss sie eben selber ran. Unter anderem verspricht sie den Kammerspielen ein inklusives Ensemble, was ja wahrlich keine schlechte Idee ist.  

Hüller und Hinrichs bekommen Schauspielpreise

Bei der Wahl zu Schauspielerin und Schauspieler des Jahres (nein, hier werden die Preise noch nicht genderneutral vergeben, wie zukünftig bei der Berlinale) konnten sich mit Sandra Hüller und Fabian Hinrichs zwei Granden der Konfektionsverweigerung durchsetzen.

Hüller, bereits zum vierten Mal die Siegerin des Votings, hat ja als außergewöhnlich feinnervig zergrübelter Hamlet in der Inszenierung von Johan Simons Publikum und Kritiker hingerissen. Im Interview erzählt die Schauspielerin, weshalb die zwanzigminütige Pause der Aufführung, die sie in aller Seelenruhe auf der Bühne zubringt, für sie der eigentliche Höhepunkt ist.

Hinrichs wiederum – Protagonist des zusammen mit René Pollesch ersonnenen Abends „Glaube an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt im Friedrichstadt-Palast – schlägt im Portrait einen erfrischenden neuen Ansatz vor, wie sich Ensembletheater denken ließe: „Man müsste so etwas wie ein Frankfurter Institut sein, aber auch eine sehr gute Band. Etwas müsste zusammenkommen, dass Adorno, Horkheimer und die anderen auch noch wahnsinnig gute Platten machen“. Hoffentlich löst sich das in Polleschs Volksbühnen-Intendanz ein, während der Hinrichs selbst den „Sardanapal“ von Lord Byron auf die Bühne bringen wird.

Erfreulich Corona-ferne Perspektiven, die sich da auftun. Wobei man natürlich der gesamten Krisensituation auch einfach mit maximaler Entspanntheit begegnen kann, wie die Künstlerin Florentina Holtzinger vorführt, deren Splatter-Ballett-Abend „Tanz“ zur „Inszenierung des Jahres“ gewählt wurde: „Ich habe immer schon meinen Lebensunterhalt damit verdient, aus nix etwas zu machen“, gibt sie zum Thema Lockdown und Zwangspause zu Protokoll (das, wen wundert’s auch in der beliebten Umfrage-Kategorie „Ärgerlichste Erfahrung des Jahres“ nicht fehlt).

Holtzinger schiebt noch den schönen Satz nach: „Ich kann meine künstlerische Praxis auch im Bett aufrechterhalten“. Für Franzobls Coronaland ist sie damit schon mal gerüstet.

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