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Oliver Frljić

©  Doris Spiekermann-Klaas

Theatermacher Oliver Frljić im Gespräch: „Ich messe meinen Erfolg an den Schlägen“

Vor der Kafka-Premiere am Maxim Gorki Theater: der kroatische Theatermacher Oliver Frljić über das Publikum, sein Vorbild Christoph Schlingensief und die AfD.

Der 1976 im bosnischen Travnik geborene Regisseur Oliver Frljić steht für ein bewusst politisches Theater. Aus Protest gegen die nationalistische kroatische Kulturpolitik legte er 2016 seinen Posten als Intendant des Nationaltheaters Rijeka nieder. Mit seinen Arbeiten war er auf sämtlichen namhaften europäischen Festivals vom Bitef Belgrad bis zu den Wiener Festwochen zu Gast und sorgt zuverlässig für politische wie ästhetische Skandale. Jetzt inszeniert er am Maxim Gorki Theater „Ein Bericht für eine Akademie“ nach Franz Kafka. Premiere ist am 8. Februar.

Herr Frljik, eine Rezensentin hat Sie kürzlich als „Kamikaze-Regisseur“ bezeichnet. Finden Sie sich in diesem Image wieder?

Nicht wirklich. Ich glaube, solche Labels sind nur für diejenigen hilfreich, die nicht verstehen oder verstehen wollen, was ich tue.

Ihre Theatersprache ist tatsächlich eher drastisch als subtil. In „Balkan macht frei“ am Münchner Residenztheater wird zum Beispiel derart lebensecht Waterboarding praktiziert, dass häufig Zuschauer auf die Bühne laufen, um die Szene zu beenden.

Theater besteht ja nicht nur daraus, was wir auf die Bühne bringen. Es ist vor allem eine Sache des Publikums. Ich sehe die Zuschauer in gewisser Weise als Co- Autoren. Natürlich wollen viele diese aktive Rolle gar nicht, sondern kommen nur ins Theater, um das zu sehen, was sie sowieso schon wissen, bestenfalls in einem anderen Licht- oder Bühnendesign.

Ein Bedürfnis, das Sie erfolgreich aushebeln, indem Sie Konflikte so dilemmatös zuspitzen, dass man sich zur Aktivität förmlich gezwungen sieht.

Mich interessiert der Moment, in dem die Zuschauer beginnen, eine Szene nicht mehr als fiktional, sondern als real zu betrachten. Und welche Reaktionen diese vermeintliche Realität provoziert.

Es ist auch das, was Ihre Arbeiten zum Politikum macht. Ihr Abend „Der Fluch“ in Polen, wo Sie die katholische Kirche und generell die politische Situation kritisieren, zog juristische Untersuchungen nach sich.

In „Der Fluch“ kündigt eine Schauspielerin auf der Bühne an, Geld für die Tötung Jarosmaw Kaczynskis zu sammeln. Obwohl wir vorher explizit sagen, dass wir mit dieser Szene die Kunst- und Redefreiheit im Theater testen wollen, hat niemand sie als Fiktion gesehen.

Als Christoph Schlingensief 1997 auf der Kasseler Documenta im Rahmen einer Theateraktion „Tötet Helmut Kohl“ proklamierte, gab es auch kurzzeitig Missverständnisse. Er und der Schauspieler Bernhard Schütz wurden von der Polizei abgeführt, aber schnell wieder freigelassen, und eine Anzeige wegen Verunglimpfung des damaligen Kanzlers blieb ebenfalls folgenlos.

Unsere Szene ist tatsächlich von Schlingensiefs Aktion inspiriert. Gegen mich laufen in Polen zwei Verfahren. Eines betrifft den „Fluch“ und lautet auf Anstiftung zur Tötung und auf Blasphemie. Das zweite bezieht sich auf eine Wiener Arbeit, „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, die in Polen auf Gastspiel war. Da geht es ebenfalls um Blasphemie – und um Beleidigung nationaler Symbole.

Wie wird das weitergehen?

Ich habe keine Ahnung. Ich denke, das wird stark von der politischen Situation abhängen. Das maximale Strafmaß für diese „Vergehen“ liegt bei drei Jahren Gefängnis: vielleicht eine gute Zeit, Polnisch zu lernen.

Im deutschen Theater liegen die Dinge ja völlig anders. Da heißt es oft, dass sowieso nur zu den Bekehrten gepredigt werde, die Erleuchteten unter sich blieben und sich gegenseitig auf die Schulter klopften.

Ich messe den Erfolg meiner Arbeit nicht in Schulterklopfern, sondern eher in den Schlägen, die ich dafür bekomme.

Die Kritiken zu Ihrer letzten Inszenierung in Berlin, am Maxim Gorki Theater, waren eher unaufgeregt. Sie hieß „Gorki – Alternative für Deutschland?“ und untersuchte die Rhetorik der AfD, indem die Schauspieler des postmigrantischen Theaters sämtliche Vorurteile, die vornehmlich in der rechten Szene gegen sie existieren, aufgriffen und in einer Art V-Effekt gegen sich selbst wendeten. Ein Darsteller fragte sich zum Beispiel, ob er bestimmte Rollen nur bekäme, weil er schwarz sei.

Für mich ist „Gorki – Alternative für Deutschland“ Beweis dafür, dass Rechte und Linke eigentlich dieselben ästhetischen Normen teilen. Diese große ästhetische Koalition zeigt deutlich die Grenzen des linken Kunstverständnisses auf.

Das müssen Sie erklären!

Natürlich beschäftigt sich Kunst, die wir als links labeln, oft mit Themen wie sozialer Ungerechtigkeit oder mit Genderfragen. Aber wenn es um ästhetische Normen und Formen geht, existiert, glaube ich, kein großer Unterschied zwischen links und rechts. Das ist auch der Grund, warum die Rechte auf einen Großteil selbst der kritischsten Theaterabende nicht reagiert: weil sie in derselben konservativen Denkweise verhaftet bleiben, zum Beispiel am westlichen Kanon festhalten oder an der Sprache als primärer Bedeutungsträgerin im Theater.

Es gibt Gegenbeispiele.

Natürlich. Das ist auch der Grund, warum ich Christoph Schlingensief so bewundere. Ich glaube, die größte Leistung seiner Arbeiten bestand darin, dass sie wirklich radikal die bestehenden ästhetischen Normen infrage stellten. Aber ich bleibe dabei: Ich halte es wirklich für ein großes Problem, dass die Linken neue Themen in alte, verrostete Formen packen. Bestimmte Formen narkotisieren bestimmte Inhalte.

Sie können es jetzt besser machen, wenn Sie sich am Gorki den „Bericht für eine Akademie“ vornehmen, Franz Kafkas luziden Text über die „Menschwerdung“ des Affen Rotpeter.

Manchmal fühle ich mich im deutschen Theater selbst ein bisschen wie Rotpeter. Ich frage mich: Soll ich bestimmte Normen akzeptieren und versuchen, Teil dieses Theatersystems zu werden? Oder soll ich sie weiter hinterfragen und eine Menge Missverständnisse und wütende Reaktionen heraufbeschwören?

An welche Missverständnisse denken Sie konkret?

In den Rezensionen zu unserer Produktion „Unsere Gewalt und eure Gewalt“ bei den Wiener Festwochen 2016 wurden wir von einem Teil der österreichischen Presse mit sehr rassistischen Untertönen belegt. Eine Schauspielerin reenactet an diesem Abend Carolee Schneemanns kanonische Performance „Interior Scroll“, die ja immer noch eine der radikalsten feministischen Arbeiten ist, und zieht die österreichische Nationalflagge aus ihrer Vagina.

Sie sprachen von spezifisch hiesigen Theaternormen, die für Sie schwierig sind?

Ich würde sagen, dass im deutschen Theater die Sprache und der geschriebene Text absolut primären Status haben. Und wer versucht, das zu hinterfragen oder zu dekonstruieren, riskiert, missverstanden zu werden. Wenn ich zum Beispiel Durchlaufproben habe und Leute, die zusehen, mir ein Feedback geben, sprechen sie ausschließlich darüber, was in der Aufführung gesagt wurde. Ich frage dann immer: Was denkst du über das Licht, über die Bewegungen, über die Körpersprache der Schauspieler? All das konstruiert ja auch Bedeutung.

Das deutschsprachige Theater ist, mit anderen Worten, arg vernunftgesteuert?

Ja, aber ich möchte nicht, dass das Publikum meine Arbeiten nur rational wahrnimmt. Antonin Artaud meinte, wir sollten Theater so erleben, wie die Schlange auf das Flötenspiel des Schlangenbeschwörers reagiert: durch den Körper.

Ihre Theatersozialisation und der Beginn Ihrer Karriere fanden in Kroatien statt. Von 2014 bis 2016 waren Sie Intendant des Nationaltheaters Rijeka.

Im Moment versuche ich, so wenig wie möglich über Kroatien zu sprechen. Ich ziehe es vor, diese Gesellschaft in ihren inneren Widersprüchen versinken zu lassen. Ich habe einfach zu viel Zeit damit verbracht, gegen diese nationalistischen Windmühlen zu kämpfen.

Sie haben Ihren Intendantenposten 2016 aus Protest gegen die nationalistische Kulturpolitik niedergelegt. Inzwischen zeigt sich auch der deutsche Kultur- und Theaterbetrieb zunehmend besorgt über rechte Einflussnahmeversuche seitens der AfD.

Ich glaube, wir müssen die AfD wirklich ernst nehmen – in dem Sinne, dass wir ernsthaft dagegen kämpfen, was diese Partei aus der Gesellschaft machen will. Die AfD wird nicht verschwinden, bloß, weil wir uns das wünschen. Sie ist angetreten, um zu bleiben. Und sie wird sich auch nicht zum Besseren wenden.

Sie versuchen an jedem Ort, an dem Sie inszenieren, ganz konkret den neuralgischen Punkt der dortigen Gesellschaft zu treffen. Welcher wird das jetzt im „Bericht für eine Akademie“ am Gorki sein?

Für mich ist eine interessante Frage gerade am postmigrantischen, queeren, diversen Gorki, wer eigentlich überhaupt darüber entscheidet, welche sozialen Normen in unserer Gesellschaft existieren. Wir denken ja meist von unserer eurozentristischen Position aus und sind der Meinung, unsere Normen seien universell und sollten allen Gesellschaften übergestülpt werden – was lediglich eine andere Form des alten europäischen Kolonialismus ist: Wir okkupieren keine Länder mehr, sondern stellen dieselbe Situation mit unserem ideologischen und ökonomischen Apparat her.

Sie arbeiten europaweit. Wo wohnen Sie?

Offiziell in Zagreb, aber dort verbringe ich nur vier Wochen im Jahr. Mein Leben ist ziemlich dramatisch: Alle zwei Monate eine neue Stadt, neue Menschen, eine neue Produktion. Auf eine bestimmte Weise ist das großartig, auf eine andere aber sehr erschöpfend, weil ich das Gefühl habe, ich packe nur noch aus und ein und muss ständig mein ganzes Leben in 23 Kilo Fluggepäck quetschen: Meine Musik, meine Klamotten und die Erinnerungen.

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