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Mutter aller Sofas. In Herbert Fritschs neuer Kreation steht ein riesiges Sitzmöbel im Mittelpunkt.

© Lieberenz/Bildbühne

Theaterpremiere: Der Bretterbericht

Alles Oper oder was: Herbert Fritschs „Ohne Titel Nr. 1“ erlebt seine Uraufführung an der Volksbühne.

Ob die Schlussapplauschoreografie das Beste ist in Herbert Fritschs Werkstücken, sei mal dahingestellt. Ganz sicher aber schafft er die besten Verbeugungszeremonien weit und breit. Da geht es mächtig ab, geht es erst richtig los, rast der Abend im Schnelldurchlauf noch einmal vorüber. Und Fritsch gönnt sich dann – man wartet drauf – einen fulminanten Kurzauftritt als Joker: Nach der umjubelten Uraufführung seiner Oper „Ohne Titel Nr. 1“ steht er plötzlich mit einem breiten Brett vor dem Kopf auf der Bühne und feixt.

Das fasst die Veranstaltung prägnant zusammen. Worum geht es hier, was bedeuten die Bretter, über die zwölf Schauspieler/Tänzer/Sänger und drei Musiker neunzig Minuten lang toben? Nichts. Dies ist das Thema dieser namenlosen, storyfreien Show ohne Sinn, aber mit viel Form, changierend zwischen John Cage, und Varieté, Tanztheater und Casting-Quatsch: Wer hat die blödeste Nummer drauf? Wer furzt, wer fällt, wer knallt am schönsten mit dem Kopf gegen das Bühnenbild?

Und das ist schlicht grandios, von Fritsch selbst entworfen. Seine Bühnenbauten sind ja immer schon die Inszenierung – die Teppichlandschaft der „Spanischen Fliege“, die wechselnden Rahmen und Perspektivblenden bei „Murmel Murmel“. Das Epizentrum der Oper „Ohne Titel Nr. 1“ bildet nun ein Sofa. Sämtliche Akteure finden darauf Platz, mehr oder weniger bequem. Das Monstrum dient als Sprungbrett, Aussichtsturm, Rückzugsgebiet, Ruhekissen, Kampfzone. Es zieht die aufgedrehten Fritsch-Menschen magisch an – und um. Hier wechseln sie im Lauf der Zeit ihre glitzernde Entertaineruniform. Victoria Behr hat die Kostüme entworfen, und das ist – mit den steilen Betonfrisuren – nicht bloß eine Frage der Ausstattung. Hier sieht man gleich und eben gar nicht tief in diese flachen Typen hinein, die zum Verrücktspielen verurteilt sind. Man könnte auch den einen oder anderen Puccini auf dieser Mutter aller Sofas spielen. Doch die Fritsch- Oper hat keinen Namen, keine Arie ist fertig, kein Duett. Alles noch im Werden: Was man sieht und hört, sind Anfänge, Aufbrüche, sie enden meist jäh. Kunst- und Fantasiesprachen werden gesprochen, durchaus mit ausländischem Akzent. Es finden sich Paare, Dramen deuten sich schmerzlich an, und keineswegs will das alles nur Nonsens sein. Ausgestattet mit vielfältigen Talenten, suchen diese Personen permanent Beschäftigung. Sie können nicht wirklich in der Stille verharren. Es glüht in ihnen. Sie sind der personifizierte Spieltrieb – Bühnenwesen, denen man beim Training, bei der Probe, ja vielleicht bei ihrer Geburt zuschaut. Einige Melancholie liegt im Spiel, im Slapstick. Auch wenn Fritsch sein Publikum gern und ausführlich unterhält – der Gute-Laune-Onkel ist er nicht. In seinen Inszenierungen geht immer etwas kaputt, wird nackte Verzweiflung überspielt mit Zungenakrobatik, Urlauten, Gebrabbel und Getuschel. Gute alte Dada-Technik im Grunde.

Das nun soll seine erste Oper sein!? Wenn man das einen Moment ernst nimmt, finden sich durchaus die notwendigen Elemententarteile. Es beginnt im Orchestergraben mit einer Ouvertüre. Zu der treten alle Akteure an. Leidenschaftlich dirigiert von Ingo Günther, bedient das Ensemble mit dem Spielführer Wolfram Koch verfremdetes Orff’sches Schlagwerk, pling-plong-platsch. Ingo Günther ist Fritschs Teufelsmusiker und Komponist. Mit seiner Holzratsche kann er die Leute filmmusikalisch manipulieren. Er schlägt Latino-Rhythmen an und bevorzugt im Allgemeinen einen eiernden Sound, wie fürs Horrorkino oder Pornos.

Natürlich ist das dann doch keine Oper, es wird weder geliebt (höchstens flüchtig) noch gestorben. Oder: Die ganze Sache hat eine derart fragile Natur, dass sie unterwegs zum Schlussapplaus das eine oder andere Mal abzuschmieren droht. Wenn das Elegische ins Längliche umschlägt, das Tempo versiegt.

Herbert Fritsch war schon als prägender Schauspieler der Volksbühne ein Anarchist. Seine Regisseure fingen ihn ein oder zum Glück eben nicht. In ihm steckt und rührt sich aber auch ein Ordnungsfanatiker, umso mehr, als er seit einigen Jahren diese unwahrscheinliche Karriere als Inszenator erlebt. Fritschs Arbeit zeichnet sich durch strenge formale Konsequenz aus: Innerhalb der kunstvoll gesetzten Grenzen tobt der Wahnsinn.

Vielleicht fehlt der neuen Kreation eine Aufgabe, zum Beispiel: Wie oft lässt sich das Wörtchen Murmel variieren? Und dennoch: Es tut wieder verdammt gut, von Fritsch und seiner Panik-Truppe schief angemacht zu werden. Moral und Bedeutung gibt’s an jeder Ecke.

Wieder am 31. Januar.

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