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Der Künstler Dries Verhoeven auf dem Heinrichplatz beim Chatten mit Usern, die nicht wissen, dass ihre Texte öffentlich projiziert werden.

©  Davids/Boillot

Theaterprojekt zur Sexdating-App Grindr: Wie das HAU-Projekt "Wanna Play" schiefging

Das Hebbel am Ufer und der Künstler Dries Verhoeven wollten wissen, wie weit sich Öffentliches und Privates in der urbanen Sphäre trennen lassen. Doch das Theaterprojekt über die schwule Dating-App Grindr ist gründlich schief gelaufen.

Der öffentliche Raum ist voller Gefahren. Dort lauern eben nicht nur gewalttätige Gymnasiasten und Berliner Busfahrer. Sondern auch Skandal und Pranger. Das haben sie jetzt am HAU zu spüren bekommen. „Treffpunkte“ heißt das Festival, mit dem das Theaterkombinat unter Annemie Vanackere zur Spielzeiteröffnung eigentlich die urbane Sphäre auf die Trennschärfe zwischen privat und publik befragen wollte. Im Wesentlichen mit drei Projekten – von denen das prominenteste mit Getöse unter einem Shitstorm kollabiert ist. Auch eine Woche danach kehren sie am HAU noch die Scherben zusammen.

Kurze Chronik der Ereignisse. Der niederländische Künstler Dries Verhoeven hatte am Kreuzberger Heinrichplatz einen gläsernen Truck aufgestellt, in dem er wohnte und sich über die schwule Sexdating-App Grindr Fremde zum Kochen oder Schachspielen einlud. „Wanna play?“ war das Projekt betitelt. Die Chats wurden anonym projiziert, die Profilfotos der Nutzer mittels „Röntgen-Effekt“ verfremdet. Wohl nicht bis zur totalen Unkenntlichkeit. Auch war wohl nicht allen Grindr-Usern hinreichend klar, dass sie gerade Teil eines Kunstprojekts wurden. Staunenswerte Naivität auf Planungsseite, schon klar. Ein User namens Parker T. – in Berlin auch als Drag-Queen Pansy bekannt – stolperte angeblich ahnungslos in dieses Projekt. Und versetzte dem Künstler einen Faustschlag, weil er sich „digital vergewaltigt“ fühlte. Die Folge: Abbruch der Veranstaltung.

Auf der Facebook-Seite des Hau überschlägt sich die Kritik

Das HAU hat erst Fehler (die eingestanden wurden) und dann alles richtig gemacht. Die herausgegebene Erklärung zur Causa war so konsequent wie das Ende des Verhoeven-Spiels. „Die Fragen, die uns interessiert haben, konnten nicht mehr gestellt werden“, sagt Annemie Vanackere. „Das Projekt war kontaminiert“. Auf der Diskussionsveranstaltung, die das HAU kurzerhand einberief, muss es hoch hergegangen sein. Blogger berichten von Pogromstimmung, was Vanackere allerdings zurückweist. Sie versichert auch: „Wir haben Dries Verhoeven nicht im Regen stehen lassen.“ Was klar ist: Das Haus kann es sich nicht leisten, die schwule Gemeinde zu vergrätzen. Wobei es auch besonnene Stimmen aus der Community gibt. Die stufen den Parker-T.-Vorfall ungefähr so ein, als hätte sich da jemand vor die Motorhaube eines aus der Einfahrt rollenden Autos geworfen und dann geschrieen: Raserei! Verkehrsgefährdung!

Auf der Facebook-Seite des HAU überschlagen sich derweil die üblichen kunstfeindlichen und verletzenden Kommentare. Tenor: Dieser hässliche Dries ist doch kein Künstler. Oder einfach: Shame on you!!!

Das Problem: Wer sich beleidigt fühlt, hat immer recht. Bedauerlich. Verhoevens Projekt war sicher undurchdacht. Hat aber einen Nerv getroffen. Rückzug der Schwulen in die Schein-Anonymität der Apps, Fetisch der Attraktivität und Selbstinszenierung im Netz – das sind ja bedenkenswerte Punkte. Grindr als Schutzraum? Von wegen. Was, nur nebenbei, besonders die Homosexuellen in jenen Unterdrücker-Ländern zu spüren bekommen haben, wo die Ortungsfunktion des Dienstes ziemlich unangenehme Folgen hatte. Für den 15. Oktober – eigentlich offizieller „Wanna play?“-Abschluss – ist nun eine weitere Diskussion angesetzt (HAU 1, 20 Uhr). Auf der sollen dann Fragen von Intimität in Zeiten sozialer Netzwerke und von Tabugrenzen in der Kunst zur Debatte stehen. Hoffentlich mit gekühlten Gemütern.

Das HAU hat ein Projekt vermasselt

Natürlich wäre es schön, wenn man gegen die „Wanna play?“-Hysterie die anderen „Treffpunkte“-Projekte anführen könnte. Nur macht es einem das HAU da nicht leicht. Die Künstlerin Sarah Vanhee hält an verschiedenen kunstfernen Plätzen der Stadt eine „Lecture For Every One“. Unter anderem in einer Tangoschule, im Auswärtigen Amt (Abteilung Kultur und Kommunikation) sowie im Unfallkrankenhaus Berlin. Ein Vortrag mit geheimem Inhalt, den Vanhee bereits in anderen Städten performt hat. Externes Publikum ist dabei nicht zugelassen. Und die geplante journalistische Begleitung eines Ausflugs scheitert an der Presse-Scheue eines Aufzug-Herstellers.

Im Foyer des HAU2 hat der britische Künstler Phil Collins seine Installation „My Heart is in my Hand…“ eröffnet (bis 26.10., täglich 16-19 Uhr sowie eine Stunde vor und nach Vorstellungen). In Kooperation mit einer Kölner Obdachlosenhilfe hat er den Randständigen Telefonkarten in die Hand gedrückt, mit denen sie wen auch immer anrufen konnten. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und von Musikern zu Elektro- und Pop-Tracks versampelt. Oder einfach nur so auf Platte gepresst. Das Ergebnis hört man in Kabinen auf 45er-Vinylsingles. Ganz ehrlich: Collins kann froh sein, dass die Wohnungslosen keine Lobby haben wie digitale Vergewaltigungsopfer. Ob diese Ärmsten der Gesellschaft hier nicht ungut benutzt werden, darf man jedenfalls fragen.

Das HAU hat also ein Projekt vermasselt. Kommt vor. Zum Trost: Die Halbwertszeit der Empörung ist in den sozialen Netzwerken und besonders im öffentlichen Raum eher kurz.

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