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Zwölf junge Menschen spielen eine Orgie: "7 Pleasures" von Mette Ingvartsen.

© Marc Coudrais/HAU

Theaterstück: "7 Pleasures" im HAU: Lust unter Yucca-Palmen

Skandal? Die Choreografin Mette Ingvartsen, Mitglied von Dercons Volksbühnen-Team, zeigt „7 Pleasures“ im Hebbel am Ufer. Auch heute Abend.

Von Sandra Luzina

Es ist beileibe keine schummrige, plüschige Liebesgrotte, die Mette Ingvartsen für ihr neues Stück „7 Pleasures“ gebaut hat. Die dänische Choreografin steht auf klassisches Design. Auf der hell ausgeleuchteten Bühne des HAU 2 stehen Stühle aus der berühmten Serie 7 von Arne Jacobsen, eine Couch und ein Sessel Togo. Wenn die Zuschauer den Saal betreten, werden sie von harten Technobeats empfangen. Als Vorspiel wird freilich eine etwas abgenutzte Fantasie in Szene gesetzt: Plötzlich zieht die Frau in der ersten Reihe Pulli und BH aus und der junge Mann in Reihe 11 lässt die Hosen fallen. Die Nackten, die nach und nach die Bühne betreten, kommen aus dem Publikum.

Mette Ingvartsen, die zum künftigen Volksbühnen-Team von Chris Dercon gehört, beschäftigt sich auf geradezu obsessive Weise mit dem Thema Sexualität. Zuletzt blickte sie in dem Soloprojekt „69 Positions“ auf die Performancekunst der sechziger Jahre zurück, als der nackte Körper ein Mittel des politischen Protests war – und ließ schon mal die Hüllen fallen. In ihrem neuen Projekt „7 Pleasures“ geht sie noch einen Schritt weiter und holt zwölf nackte Performer auf die Bühne. Sie selbst mischt sich unter das ekstatische Dutzend, dass den Garten der Lüste in sieben Etappen durchstreift. Sieben Spielarten der Lust – wohl eine Analogie zu den sieben Todsünden.

Zunächst bilden die Performer einen Hügel aus Leibern, der einen Lautsprecher unter sich begräbt. Im Rausch des Verschmelzens löst sich das Individuum fast auf. Mit aufreizender Langsamkeit rollen und gleiten die Körper übereinander. Sie sind eher durch gegenseitiges Spüren und Fühlen verbunden, nicht in eine Form gepresst. Der kombinatorischen Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Jeder treibt’s hier mit jedem.

Nach einer Weile wenden sich die Lustsucher von den Körpern ab und den Dingen zu. Mit unfreiwillig komischer Botschaft: Ein jeder findet in seinem Haushalt Dinge, mit denen er sich verlustieren kann, sei es nun ein Tischbein oder eine Yucca-Palme. Auch der Designerstuhl bringt eine Schöne in Wallung.

Ein Trommelschlag beendet die Orgie

Mette Ingvartsens Entgrenzungschoreografie arbeitet mit Steigerungen: Alle schütteln sich heftig – man erinnert sich an die Bhagwan-Bewegung der Siebziger –, bis das Kollektiv mit wippenden Brüsten und Beckenstößen den Höhepunkt ansteuert. Ein Trommelschlag kündigt das Ende der Orgie an.

Das postorgasmische Treiben bei rötlichem Licht wirkt dann zunächst tiefenenstpannt – bis die Tänzer anfangen, die Möbel zu zerlegen. Und als eine Tänzerin mit einem der orangefarbenen Seile an die Unterseite eines Tisches gefesselt wird, glaubt man, einer abstrusen Zirkusnummer beizuwohnen. Die Szene sorgt zusätzlich für Irritation, denn ging es vorher egalitär zu, so sieht man nun zwei Kasten: Herren beziehungsweise Dominas und Sklaven. Sechs Performer tragen schwarze Jeans und Lederjacke wie eine Uniform, während die Nackten in einer Unterwerfungshaltung arrangiert werden. Krude Machtfantasien kommen ins Spiel, ein bisschen Sadomaso ist heutzutage schließlich salonfähig. Aber auch das wird wieder aufgelöst, in ein aufreizendes Nebeneinander von Bekleideten, Nackten und Halb-Entblößten. Die Ekstatiker sind experimentierfreudig.

Eine Erkundung von Gesellschaft, Begehren und Kapitalismus

Richtig fesseln will einen das orgiastische Treiben auf der Bühne jedoch nicht, zumal in Berlin, einer Stadt, die lange als Hauptstadt des Exzesses galt. Mette Ingvartsen betont zwar gerne, sie wolle die Beziehung zwischen Sexualität und Gesellschaft, Begehren und Kapitalismus erkunden. Und sie will der pornografischen Bilderflut etwas entgegensetzen: selbstbestimmte Lustsubjekte. Doch wenn die Zuschauer-Voyeure zwölf jungen Menschen mit drahtigen Körpern bei ihren Sexspielen zuschauen, sprengt das nicht die kapitalistische Logik. Sicher ist nur, dass „7 Pleasures“ der Choreografin viel Aufmerksamkeit beschert.

Wieder heute Abend, 11.12., 20 Uhr

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