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Theatertreffen: "Das Ergebnis ist immer ein Kompromiss"

Zum Theatertreffen ist Roland Schimmelpfennig mit seiner Inszenierung "Der goldene Drache" eingeladen. Der Tagesspiegel spricht mit dem Dramatiker über Regie und Freiheit.

Roland Schimmelpfennig, Jahrgang 1967, ist der erfolgreichste deutschsprachige Dramatiker unserer Zeit, seine Stücke werden in vierzig Ländern aufgeführt. Am Deutschen Theater Berlin war er eng mit dem im letzten Jahr gestorbenen Regisseur Jürgen Gosch verbunden, der „Idomeneus“ und „Das Reich der Tiere“ hier zur Uraufführung brachte. Zum Theatertreffen ist er mit seiner Inszenierung „Der goldene Drache“ vom Wiener Burgtheater eingeladen (Aufführungen vom 21. bis 23. Mai).

Herr Schimmelpfennig, von Mark Twain stammt das Zitat: „Der Unterschied zwischen einem nahezu richtigen Wort und einem treffenden ist wie der zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz“. Kennen Sie dieses Gefühl?

Ja, es gibt in der Tat Worte oder Sätze, die sich sofort richtig anfühlen, und andere, die sich sehr lange verweigern. In solchen Fällen folgt eine nicht wirklich bewusst zu steuernde Suche nach dem richtigen Wort oder dem richtigen Rhythmus – oft geht es um Rhythmus –, und plötzlich stimmt es dann.

Worum geht es bei dieser Suche?

Um Genauigkeit, um Komposition, gerade beim Theater um Verdichtung. Es geht für mich darum, eine Sprache zu finden, die ohne falsche Geschwätzigkeit, auch ohne falschen Kunstanspruch auskommt. Die sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellt als eigene Kunstform.

In der Anfangszeit war der Blick auf Ihre Stücke oft ein ratloser. Es wurde auf den magischen Realismus abgehoben, auf das Rätsel Schimmelpfennig. Musste sich da erst ein Blick entschleiern?

Tatsächlich gab es in den ersten sieben oder acht Jahren in den Kritiken eine Reihe von etwas ratlosen Einordnungsversuchen – so etwas wie die Suche nach dem richtigen Etikett. Das fing an sich aufzulösen nach der „Arabischen Nacht“, eigentlich mit „Push up 1–3“ in der Hamburger Inszenierung von Jürgen Gosch. Vielleicht waren aufseiten des Feuilletons irgendwann alle Schubladen durch.

Ihr Stück „Der goldene Drache“ nimmt seinen Ausgang in der Küche eines Chinarestaurants, unter illegalen Einwanderern. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Durch einen Rechtsanwalt, dessen Mandanten öfter aus diesem Kreis kommen. Der hat mich auf der Straße angesprochen: Über das Thema müsste man mal was machen. Dann habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen – zuerst ausgehend von Berichten und Fotos von der Situation in den Abschiebegefängnissen. Über diesen Umweg bin ich dann bei den Chinesen und der Arbeitsituation Schnellküche gelandet.

Im Stück gibt es eine Reihe magischer Momente. Die Geschichte einer Zwangsprostitution erzählen Sie als Abwandlung der Fabel von der Grille und der Ameise.

Dem lag der Gedanke zugrunde, dass es schnell unglaubwürdig und anmaßend werden kann, wenn hochbezahlte Stadt- oder Staatstheaterschauspieler versuchen, naturalistisch den Underdog aus China spielen. Also muss man mit anderen Methoden arbeiten, und so kamen die fantastischen Elemente hinzu. Die Fabel von der Grille im Stück geht bloß einen Schritt weiter als die Fabel bei LaFontaine. Das Stück löst sich szenenweise von den menschlichen Gestalten – und kann erst so das Thema Zwangsprostitution überhaupt behandeln.

Sie haben zum ersten Mal seit 1999 ein eigenes Stück inszeniert. Besteht die Gefahr, dass der Regisseur den Autor zu sehr beim Wort nimmt?

Ich selbst kann den Autor fast wie einen Fremden betrachten. Ich rede auch so über den in den Proben. Ich glaube, die große Gefahr besteht darin, dass man als Regisseur/Autor eine Verteidigungshaltung des eigenen Textes einnimmt. Aber wenn man auf den Text vertraut und ihn trotzdem mit den Schauspielern zusammen kritisch abklopfen kann, ist diese Personalunion kein Problem.

Verändert sich der Text noch während des Abklopfens?

Minimal. Es gibt sicher Stellen, wo man während der Proben entdeckt: Da ist ja immer noch das Glühwürmchen unterwegs und nicht der Blitz. In dem Fall habe ich geändert. Aber es war ja kein offener Schreibworkshop.

Sie haben in München Regie studiert. Was führte Sie überhaupt davon weg?

Der Vorgang des Schreibens ist ein wunderschöner, aber auch sehr isolierter Moment der kompletten Selbstverwirklichung. Das Theater ist ein permanenter Kommunikationsbetrieb – es bedarf der Einlassung von allen Seiten, und das Ergebnis ist immer ein Kompromiss, selbst wenn im besten Fall alle bei diesem Kompromiss gewinnen. Nur, wenn die Arbeit im Theater nicht gut läuft, verhagelt einem das auch die schriftstellerische Produktion, weil man permanent über selbstherrliche oder missgelaunte Kollegen nachdenkt. Ich brauchte nach den Jahren der Assistenz und der Dramaturgie meine Freiheit. Es hat eine Weile gedauert, bis ich wieder die Fühler ausgestreckt habe nach dem Alltag Theater.

In vielen Kritiken wird der Stil Ihrer Arbeit mit Jürgen Gosch verglichen. Stört Sie das?

Wir sind über zehn Jahre einen Weg zusammen gegangen, Gosch, Schütz und ich, und der erschien uns allen dreien als richtig. Dass der Vergleich aufkommt, ist für mich kein Problem. Ich bin sicher, dass Gosch mit dem „Goldenen Drachen“ noch in Bereiche gegangen wäre, die ich nicht einmal erahnen kann.

Es gibt kaum dauerhafte, glückliche Verbindungen zwischen Autoren und Regisseuren.

Ich kann nur für die Verbindung GoschSchimmelpfennig sagen, dass es in keinem Moment eine verordnete Beziehung war. Die ergab sich vor allem aus Goschs Begeisterungsfähigkeit für die Texte. Er hat sich den Texten in aller Radikalität und gleichzeitig in aller Ernsthaftigkeit gestellt. Jedes Mal neu, wie zum ersten Mal. Vielleicht ist das Geheimnis dieser Beziehung, dass es nie die Verabredung gab, dass es weitergehen muss. Wir hatten einen ähnlichen Humor – und ein ähnliches Vergnügen an einer bestimmten Form von Aggression. Es war eine sehr spezielle, sehr ungewöhnliche Form von Freundschaft und Vertrauen. Ein wortloses Verständnis – weil man ja in den Texten, in den Aufführungen schon so irrsinnig viel miteinander anfängt.

Der Partner auf Augenhöhe fehlt Ihnen jetzt. Werden Sie fortan Ihre Texte vermehrt selbst inszenieren?

Wenn es gut geht, kann das ein Weg sein. Aber nicht der einzige. In meinem Verständnis von Theater muss es einen partnerschaftlichen Prozess geben mit anderen Regisseuren, vorausgesetzt, dass die Regisseure bereit sind, die Texte so ernst zu nehmen, wie ich sie geschrieben habe. Aber in jedem Fall bin ich nun mit dabei.

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

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