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Zwei Drittel Gott, der Rest Smartphone. Gilgamesch in „Das Phantom von Uruk“, entstanden am Friedrich-Schleiermacher-Gymnasium. Beeindruckend.

© Kost Kooperation Schule und Theater in Sachsen

Theatertreffen der Jugend in Berlin: Googel mal Gilgamesch!

Der Körper als Splattermovie und das Epos als App: Beim 39. Theatertreffen der Jugend in Berlin überzeugt ein starker Jahrgang mit frischen Ideen.

Ein 4000 Jahre altes Epos, zu babylonischer Zeit in Tontafeln geritzt. In Keilschrift. Aha. Gibt's dafür eine App? Die Geschichte eines Typs, der zu zwei Dritteln Gott und zu einem Drittel Mensch ist und sich für seine Taten feiern lässt wie der große Zampano. Googel mal: „Gilgamesch“. Aber ernsthaft: Was soll die Schülerinnen und Schüler einer sechsten Klasse aus Niesky in der Oberlausitz heute an einer der ältesten schriftlich fixierten Heldensagen interessieren?

Na, alles! Die Inszenierung „Das Phantom von Uruk“, die am Friedrich-Schleiermacher-Gymnasium mit einem Ensemble entstanden ist, das sich herrlich bildungsbeflissen „Die Eleven“ nennt, beschreibt eine Begegnung zwischen Gegenwart und grauer Vorzeit. Zwischen Smartphone-Besitzern und Sumerern. Die Spielleiter dieser Theater-AG, Ben Graul und Kerstin Schönbrodt, lassen die jungen Performer in den Mythos tauchen. Und immer wieder auch befremdet einen Schritt zurücktreten. Zwischen Pappschildern mit den Logos der überlebenswichtigsten Apps tappen und tänzeln sie durch die Geschichte vom Leben und Sterben des Despoten Gilgamesch und seines Freundes Enkidu. Entdecken Mauerbau-Parallelen zwischen Uruk und der heutigen Weltpolitik, befragen die epische Sinnsuche mit Neugier und Skepsis. Klar wird, ganz ohne plattfüßige Aktualisierungen: Bestimmte Menschheitsthemen bleiben zeitlos.

Auffällig ist ein Interesse an Klassikern

Eine tolle Inszenierung, von der man in Berlin höchstvermutlich nie erfahren hätte. Wenn es nicht das „Theatertreffen der Jugend“ gäbe. Das Festival versammelt nun schon zum 39. Mal Arbeiten, die mit Theater-AGs, in der Freien Szene oder mit den Jugendclubs der großen Bühnen entstanden sind. Wobei das junge Theatertreffen 2018 erstmals vor der erwachsenen Ausgabe im Mai stattfindet, nicht wie bisher im Anschluss – und somit auch im Aufmerksamkeitsschatten. Eine gute Entscheidung. Und ein wirklich starker Jahrgang.

Auffällig ist das offenbar wiedererwachte Interesse am Klassiker. Freilich unter höchst verschiedenen Werktreue-Vorzeichen. In „Being Peer Gynt“ beleuchtet zum Beispiel das freie Kölner Ensemble „Familie Rangarang“ mit Ibsen die Brüchigkeit von Identität. Die Gruppe, die aus 15 Jugendlichen aus fünf Ländern besteht und als Projekt mit Geflüchteten startete, wirft sich auf Peers berühmte Zwiebelmetapher – und sucht ihren eigenen Kern. Die Jungen Prinz*essinnen aus Bochum wiederum ziehen sich Camus' „Caligula“ heran, um einfach gutes Theater zu machen. Starke Rollen zu spielen. Auf schlichter Bühne, durchsetzt von Tanz und Musik.

Liebe in Zeiten der Rechten

Ein Highlight ist auch die Produktion „Sie mögen sich“ der Leipziger Gruppe Ohne ist schöner. Die erzählt in der Regie von Nils Matzka eine Boy-meets-Girl-Geschichte. In bewusster Nähe zum Kitsch, aber nie sentimental. Es geht um die Liebe in Zeiten der Rechten. Zwei begegnen sich auf einer Party, anno 2016, und es funkt sofort. „Emanzipiertes Girlie trifft alternativen Schleimbeutel“, wie die Erzählerin ironisch kommentiert. Beide wollen die Revolution. Den Umsturz des Unerträglichen, der Elternwelt. Zumal ihr Stiefvater ein „Pediga-Hassprediger“ ist. Mädchen und Junge geloben sich Liebe und Widerstand. In einem Straßenbild, wo „der Pfandsammler einer muslimischen Familie nachruft: Geht doch dahin zurück, wo ihr euch den Arsch wieder mit der nackten Hand abwischen könnt“. Packend erzählt und toll gespielt ist dieses Stück – von zwei Darstellerinnen, Charlotte Kremberg und Elisa Ludwig. Was drohende Gender-Klischees gleich torpediert.

Einladung in eine begehbare Vulva

Apropos. Wild geht es zu in der feministischen Empowerment-Produktion „Chicks*United“ der Bremer Performance-Gruppe Chicks*. Die nimmt sich mit herrlicher Schamfreiheit diskriminierende Geschlechterzuschreibungen vor und lädt das Publikum in eine begehbare Vulva ein. Anfangs sieht's da drin noch ganz kuschelig aus, Blumen, Stofftiere, Meerjungfrauen. Bald allerdings beginnt eimerweise roter Schleim zu strömen. Was soll man sagen? Der Körper ist ein Splattermovie.

Freilich, es gibt auch Klischees, die das Theatertreffen der Jugend bestätigt. Zum Beispiel, dass junge Zuschauerinnen und Zuschauer eine sehr erfrischende Offenheit und Begeisterungsfähigkeit mitbringen. Mit welchem frenetischen Lärmpegel am Eröffnungsabend „Das Phantom von Uruk“ gefeiert wurde, war jedenfalls beeindruckend.

Bis 21. April, weitere Infos unter: www.berlinerfestspiele.de

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