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Theatertreffen: Europa und sein Kern

Herbe Abkühlung nach emphatischem Auftakt: Das Berliner Theatertreffen startet mit dem charmanten Bühnenmenschen Jack Lang und einer bescheidenen Horvath-Inszenierung.

Er sieht aus wie ein Typ aus einem älteren französischen Gangsterfilm, er verbreitet mediterrane Eleganz, er spricht wie ein Poet. Mögen die Organisatoren des Berliner Theatertreffens manchmal auch seltsame Einfälle haben – die Eingangshalle im Festspielhaus ist mit Kies zugeschüttet!? –, es war eine glänzende Idee, Jack Lang als Redner zur Eröffnung einzuladen, Frankreichs Kulturminister der Ära Mitterrand. Was er auf dem deutschsprachigen Theatergipfel verloren hat? Nun, Jack Lang ist in jeder Hinsicht ein Bühnenmensch. Vor seiner auratischen politischen Karriere war er Festivalchef und Theaterleiter und der deutschen Dramatik immer eng verbunden. Lang holte Klaus Michael Grüber einst nach Paris, war befreundet mit Heiner Müller, und Berlin ist ihm seit frühen Brecht-Erlebnissen am BE ein „mythischer Ort“. Jack Lang bedankt sich dafür, „einige Minuten Ihre schöne deutsche Sprache malträtieren zu dürfen“. Sehr charmant, man weiß ja um die Sprachgewalt deutscher Kulturpolitiker.

Lang stammt aus einer Zeit, da Kulturpolitik aus dem Vollen schöpfte. Und da tut es gut, wenn jetzt einer mal frei von Zwängen spricht und ein großes Baguette bäckt statt kleiner Brötchen. Die Krise, sagt er, habe eben auch moralische und intellektuelle Gründe. Und Bildung und Kultur müsse man nun erst recht unterstützen. Mit der Kultur der europäischen Idee eine Seele geben, das ist seine Botschaft. Lang träumt von einer deutsch-französischen Staatsbürgerschaft, einem gemeinsamen Parlament beider Länder und einem Kulturminister für Deutschland und Frankreich ...

Das klingt nach einem Kerneuropa, wie es sich auch in der Eröffnungsinszenierung von Johan Simons und Paul Koek wiederspiegelt. Die Holländer haben Horváths „Kasimir und Karoline“ zunächst im belgischen Gent inszeniert und nach Festival-Gastspielen in Athen und Avignon dann fürs Schauspiel Köln eingepasst. Beherrschend aber bleibt Bert Neumanns Bühne: ein Stahlgerüst, Gerippe oder Rückwand des Oktoberfests, wo Horváths Wirtschaftskrisen-Reigen ursprünglich spielt. Hier ist die Liebe kälter als das Leben, und die Illusion einer Jahrmarktsromanze oder einer Bekanntschaft, die den sozialen Druck abmildern könnte, dauert nur einen Wimpernschlag. Wie ferngesteuert bewegen sich diese Menschen. Die reine Depression. Abstürze mit Ansage. Versteinerte Existenzen, man verliert schnell das Interesse. Ja, so ist das Leben, und dann ist es eben so. Bescheiden. Mal machen die Schauspieler zu viel, posieren heftig, mal machen sie zu wenig, sterben ab, so vor sich hin. Intellektualisiertes Prekariat.

Eine herbe Abkühlung nach Jack Langs emphatischem Auftakt – und der freudigen Ankündigung von Festspiele-Intendant Joachim Sartorius, dass nach der Modernisierung der Bühnentechnik demnächst auch der Zuschauerraum im Festspielhaus saniert wird.

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