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Theatertreffen: Im Knilchgarten

Landleben als Wille und Vorstellung: Das Schauspiel Köln zeigt Tschechows "Kirschgarten" als Zirkusnummer.

Nein, herumgepöbelt hat diesmal keiner, bei der dritten Theatertreffen-Premiere und zugleich zweiten Aufschlag des Schauspiels Köln. Kein Claus Peymann, der nach Karin Henkels „Kirschgarten“ schäumende Verwünschungen und Karriereveränderungsempfehlungen in den Festspielsaal gedonnert hätte, wie am Sonntag bei Herbert Fritschs „Biberpelz“.

Ein paar Buhs kommen zwar, einige Unzufriedene nutzen die halbe Sekunde zwischen Licht-aus und Applaus-an. Dann aber wird es schnell fröhlich im Zuschauerraum – zu Recht. Warum die Buhs? Dafür, dass Karin Henkel einen Tschechow in zwei Stunden schafft? Dass sie das Umbruchsstück um das verarmte Gutsbesitzergeschwisterpaar Ranjewskaja und Gajew (Lena Schwarz und Matthias Bundschuh) nicht als Untergangsdrama, sondern ausdrücklich als Komödie anlegt?

Es ist ja auch zu komisch: Die aufs Unterhaltsamste verpeilte, verspielte, versponnene Hof-Gesellschaft, die im Angesicht des Finanz-GAUs trotzdem einfach weitermacht wie bisher. In der Mitte des bühnengroßen, mit Erde bedeckten Spielgevierts (von Kathrin Frosch) dreht sich ein beleuchtetes Rundpodest, das die Heimatscholle zur Manege macht, inklusive zweier Humptata-Zirkusmusikanten. Die Pose ist es, was dem degenerierten Kulturvolk übrig bleibt, das Landleben als Wille und Vorstellung, als letzte Show, auch vor sich selbst. Die Untergangsparties samt Sentimentalitätseinlagen und gelenkiger „Kunststückschen“ der französischen Gesellschafterin (Brigitte Cuvelier) sind eben unterhaltsamer als die Arbeit am Spagat zwischen Traditionspflege und Zukunftsvorsorge.

Das Land am Fluss parzellieren? Die Kirschbäume fällen? Ferienhäuser bauen? Ach nein, ach wirklich nicht, lieber Geschäftsmann Lopachin, machen Sie doch einen anderen Vorschlag! Charly Hübner spielt Lopachin als Pragmatiker, als Kraftpaket, der zunehmend verzweifelt am trotzigen Rumgeeier der Guts-Menschen. Während diese die Erbtante umschmeicheln oder sonst wie über Subventionen nachdenken, lässt Regisseurin Henkel ihren Lopachin wohltuend aktiv werden, Pläne machen, eine Lösung suchen. „Alles, was dich interessiert, ist das Geld!“, rufen ihm die bleichen Auslaufmodelle zu. „Wenigstens übernehme ich Verantwortung!“, ruft er zurück.

Interessant, dass der Student Trofimow (Jan-Peter Kampwirth) nicht im Geringsten als Widerpart des zupackenden Lopachin inszeniert wird. Zwar kommt Trofimow mit seinen gescheitelten „Man müsste mal“-Visionen gut an beim bedrohten Volk – aber klar wird auch: Der will nur reden. Und ist eigentlich genauso eine Knalltüte wie die anderen.

Klar, es gibt Ausnahmen. Die Adoptivtochter Warja etwa, toll gespielt von der stimmgewaltigen Lina Beckmann, die versucht, den zerfallenden Selbstbetrüger-Laden zusammenzuhalten. Oder den alten Diener Firs (schön klapperig: Jean Chaize), der ausgebeutet wie eh und je im Hintergrund Koffer schleppt und der zum Schluss unter der grandiosen, wie ein Dampfer blinkenden und sinkenden Riesen-Kirschgarten-Symbolwand begraben wird. Zeitenende, Zeitenwende, so ist das eben. Lopachin kauft den Grund, auf dem seine Ahnen noch schufteten, küsst den Boden, frisst Dreck, erdet sich, jetzt ist er am Drücker, jetzt wird es ernst, einfach wird es nicht. Ein gutes Ende: Man gönnt dem Gut die Gegen-Gentrifizierung, freut sich über den Auszug der Knilche. Und die freuen sich mit: „Auf in ein neues Leben!“, rufen sie. Der Zirkus, er zieht weiter.

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