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Theatertreffen: Kölns "Schmutzige ..." sind sehr prekär

"Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen": 15 Akteure und haufenweise Unterschichtsinsignien packt die Kölner Intendantin Karin Beier in einen verglasten Container. Theatergänger werden in die Rolle von Voyeuren gedrängt.

Ein neues Genre scheint sich auszubreiten im Theater: der Eine-Idee-Abend. Man nehme eine deutliche, aber bitte auch nicht zu anspruchsvolle formale Setzung und drapiere Text und Schauspieler adäquat um dieselbe herum. Im Theatertreffen-Beitrag „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ besteht die Idee aus einem schalldichten, verglasten Container, in den die Kölner Intendantin Karin Beier fünfzehn Akteure und haufenweise klischierte Unterschichtsinsignien packt. Man trägt abgerockte Jogginghosen oder löchrige Leggings zu Kunstpelzpantoffeln, tischt Fertiggerichte aus dem Discounter auf, beschmiert die Kloschüssel auch von außen mit Kacke und lässt sich via Flachbildschirm ganztägig durch einen Shopping-Kanal berieseln. Prost!

Dass man einander immer wieder unter adäquater Halsschlagaderschwellung anbrüllt, können die Zuschauer allerdings nur sehen, nicht hören. Denn akustisch bleiben sie – so Beiers Pointe – vom Leben im schalldichten Kasten ausgesperrt. Kurzum: Die Theatergänger werden, ob sie wollen oder nicht, in die Rolle von Voyeuren gedrängt, die dem bulligen Familienvater (Markus John) bei der Vergewaltigung seiner Tochter (bemerkenswert: Lina Beckmann) oder bei der Ausgrabung der Euroscheine zusehen müssen, die er vorm Rest der geldgeilen Familie in der Kloschüssel versteckt hatte.

Ein merkwürdiges Gefühl. Denn irgendwie weiß man nicht so recht, wozu man da eigentlich gebeten ist. Beiers Inszenierung greift auf Ettore Scolas gleichnamigen Film zurück, den Cannes-Gewinner von 1976. Scolas gnadenloses Porträt einer Großfamilie aus den Slums vor Rom räumte damals mit sämtlichen romantisierenden Kleine-Leute-Mythen auf. Dies mehr als dreißig Jahre später in einer komplett veränderten Medienlandschaft zu aktualisieren, birgt Probleme.

Man darf heutzutage davon ausgehen, dass die Entmythisierung des sogenannten Prekariats oder gar Proletariats alle Tage wieder sattsam vom „Unterschichtenfernsehen“ (Harald Schmidt) geleistet wird. Worin liegt also der Mehrwert, wenn sich Menschen, die vermutlich eher 3sat als RTL schauen, „Big Brother“ im Theater ansehen? Darin, dass sie sich über die Unterstellung ärgern, die von der voyeuristischen Situation ausgeht?

Oder soll man sich etwa all den heftigen Klischees zum Trotz irgendwie mit denen identifizieren? Was von diesem nach Berlin eingeladenen Abend auf jeden Fall bleibt, ist eine erhöhte Sensibilität für die strukturellen Schwierigkeiten eines vergleichsweise gut aufgestellten Stadttheaterbetriebs bei der Darstellung der Schmutzigen und Prekären. Ein Problem, mit dem Köln und Karin Beier indes nicht allein sind.

Noch einmal heute, 20 Uhr, im Haus der Berliner Festspiele.

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