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König und Sohn. Burghart Klaußner und Christian Friedel.

© Bresadola/Drama

Theatertreffen: Schiller war da

Die Liebe zur Macht beherrscht alle Macht der Liebe: Dresdens "Don Carlos" zog beim Theatertreffen das Publikum in seinen Bann.

Dieser „Don Carlos“ vom Staatsschauspiel Dresden wird beim Berliner Theatertreffen schon als mittlere Sensation empfunden. Dreieinhalb Stunden haben sie unterm Autorennamen Schiller tatsächlich den Schiller-Text gespielt. Haben amouröse und politische Intrigen noch als Geschichte und Geschichten erzählt: im Ganzen, also mit allen Brüchen und Widersprüchen. Es gibt Begehren, Passionen, tragikomische Katastrophen oder, kurz gesagt: Spannung und Spannungen noch zwischen greifbaren und womöglich ergreifenden Menschen. Fast wie im Kino. Das Theater versucht hier, frei von postdramatischen Finten, einen dramatischen Bogen zu schlagen.

Das heißt, die Schauspieler sprinten nicht, von der Regie gestochen, nach vorne zur Rampe an Mikrofone, verwirbeln nicht private Alltagskommentare mit ein paar Originaltextbröckchen zum Kurzkommentar ihrer „Rolle“. Und der Abend zerfällt nicht bloß in ein längst konventionell gewordenes, meist nach drei Minuten durchschaubares Nummerntheater.

Natürlich zeigt auch Roger Vontobel in seinem Dresdner „Don Carlos“ kein altbackenes Klassiker-Arrangement mit steifen Ritterroben und flackerndem Kerzenschein. Theater ist hier und jetzt – aber zugleich von gestern und morgen. So imaginieren Vontobel und seine Bühnenbildnerin Magda Willi kein historistisches Spanien. Der Escorial erscheint als mächtiges dunkelhölzernes Halbrund: eine Mischung aus Arena, Reichskanzlei und Vorstandsetage, mit vielen Hintertüren, die sich mal ins gleißende Licht der Außenwelt, mal ins zwielichtig Abgründige öffnen oder die Projektionsfläche bilden für raumhohe Livecam-Acts.

Videos gibt’s also auch. Doch nicht als Marotte, sondern als szenischen Widerhall, als ironisches Pathos-Zitat, als Überwachungsstaatstheater. Das findet sich schon bei Schiller, fabelhaft modern, die spanische Inquisition arbeitet da wie der KGB. Dazu passen die bedacht verheutigten Anverwandlungen. So gibt Burghart Klaußner als König Philipp schon von Statur und Habitus nicht vor, einen weltbeherrschenden Imperator verkörpern zu können. Er ist, wie alle Figuren, ein bürgerlicher Machtmensch, teils Manager mit Schlips und Weste, teils Mafiaboss mit schwarzer Sonnenbrille. Siegt die religiös-politische Geschäftsraison über alle Gefühle, greift er auch selbst zur Pistole.

Das alles hat nicht die Raffinesse etwa von Andrea Breths Wiener „Don Carlos“ vor ein paar Jahren, der hier als Vorbild durchklingt. Und gewiss hätte die Inszenierung auf ein paar notorische Zigarettenzüge, auf den letzten Whiskey oder manche Wasserflasche verzichten können; und selbst ein moderner Marquis Posa muss vor seiner Chefin (der Königin) den Respekt nicht mit beiden Händen in der Hosentasche suchen. Aber sei’s drum. Tatsächlich nimmt die Aufführung die jederzeit aktuelle Verknüpfung von familiären und politisch-sozialen Konflikten der Figuren ernst. Klaußners Philipp ist ein kraftvoller Machtmensch und verletzlicher Vater und Ehemann, und auch die Good Guys sind spannungsreich. Christian Friedel (der neben Klaußner schon im Kino im „Weißen Band“ zu sehen war) steigert den jungen Carlos vom Softie zum intelligent verblendeten Mitreißer, ein schönes spielerisches Temperament. Vorzüglich auch Sonja Beißwenger und Christine Hoppe als Königin und als Eboli, stark gegen Ende dazu Matthias Reichwalds egoman altruistischer Posa. Das Publikum war spürbar gebannt, viele Bravi.

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