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Kultur: "Theatrum naturae et artis": Jäger, Sammler, Wissenschaftler

Betritt man den Lichthof des Martin-Gropius-Baus, ist man für einen Augenblick enttäuscht. Das "Theatrum naturae et artis", das Theater der Natur und Kunst, bietet keine spektakuläre Inszenierung - so Aufsehen erregend etwa wie ihre Vorläufer-Ausstellung, die Jahrtausend-Schau der "Sieben Hügel".

Betritt man den Lichthof des Martin-Gropius-Baus, ist man für einen Augenblick enttäuscht. Das "Theatrum naturae et artis", das Theater der Natur und Kunst, bietet keine spektakuläre Inszenierung - so Aufsehen erregend etwa wie ihre Vorläufer-Ausstellung, die Jahrtausend-Schau der "Sieben Hügel". Stattdessen sind in einer Ellipse die Büsten der Gelehrten der alten Berliner Universität aufgereiht. Eine bleiche Phalanx des Geistes und der Wissenschaft, zwischen denen zwei Torsi hoch aufragen: ein anatomisches Modell und eine antike Skulptur. Zwischen ihnen, gleichsam als Bindeglied, ein Band mit farbenprächtigen Tierstudien der Renaissance, und eine Inszenierung des im September gestorbenen Künstlers Stephan von Huene: hydraulisch bewegte Unterkörper, "Tischtänzer" genannt.

Kunst und Wissenschaft, von der Natur und vom Menschen Geschaffenes in einer "Wunderkammer des Wissens" vereint: das ist das weltumspannende, von Leibniz entlehnte Credo des "Theatrum naturae", das am morgigen Sonntag seine Tore öffnet. "Ein Theater aller nur denkbarer Dinge" hatte der barocke Universalgelehrte sich erträumt, ein Ensemble aus Kunstkammern, Gärten, anatomischen Theatern, Museen, Akademien, Spielhäusern und Konzertsälen.

In jahrelanger Wühlarbeit förderten die Ausstellungsleiter Horst Bredekamp und Jochen Brüning vom Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität und ihr Team 1100 Objekte aus insgesamt 100 Sammlungen mit 30 Millionen Gegenständen zutage. Von der Archäologie, der Paläontologie und der Botanik bis hin zur Anatomie, Ökologie und Physiologie spannt sich der Bogen. Leibniz wäre zufrieden, vermutlich.

Mehr als der "achte Hügel"

Es ist alles andere als alltäglich, dass eine Universität ihre sonst größtenteils verborgenen Sammlungen zur Schau stellt. Auch unter diesem Blickwinkel ist das "Theatrum" außergewöhnlich. Es führt die Universität zurück auf die öffentliche, die gesellschaftliche Bühne. Wissenschaft, ihre Bedeutung und ihre Folgen, werden wieder diskutiert. Mit 4,4 Millionen Mark hat das "Theatrum naturae" so viel wie einer der "sieben Hügel" gekostet - und ist doch wesentlich mehr als nur der ursprünglich gedachte achte Hügel Hügel geworden.

Gegenstände aus allen Bereichen der Natur, Kunst und der Wissenschaft versammelten die Kunstkammern der Renaissance. Die Ausstellung zeigt Reste der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer, etwa einen ausgestopften Iltis und einen Fischotter. Das Erstaunliche an diesen gut erhaltenen Präparaten ist ihr Alter - vor rund 250 Jahren ausgestopft, haben sie dennoch alle Wechselfälle der Geschichte überstanden.

Das gilt für große Teile der Berliner Universitätssammlungen nicht. Das Pathologische Museum des manischen Präparators Rudolf Virchow an der Charité umfasste vor seiner Zerstörung im Krieg etwa 25 000 Präparate, von denen ganze 300 bis heute erhalten blieben. Das Museum für Meereskunde und das Christlich-Archäologische Museum existieren nicht mehr. Die heutigen Sammlungen der Humboldt-Universität sind nur noch ein Torso, und es ist eine kleine Schwäche der Schau, dass ihr ein spektakuläres Objekt fehlt. Und das, obwohl das Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität - Stichwort: Saurier, Urvogel Archaeopteryx - einiges zu bieten hat.

Das "Theatrum naturae" verzichtet fast ganz auf Schaueffekte, wie sie die "Sieben Hügel" in Hülle und Fülle boten. Die Dinge sollen selbst sprechen, "Raum zum Atmen" haben. Nur einmal wird dieses Prinzip wirksam durchbrochen. Im Saal des Instituts für Anatomie wurde das Berliner anatomische Theater rekonstruiert. Auf dem Präparationstisch liegt eine echte, sezierte Leiche. Der Besucher darf einen Blick auf den im Halbdunkeln drapierten Leichnam riskieren und sich ein bisschen gruseln.

Auf die umfassenden Kunst- und Raritätenkammern des Barock folgten die Spezialsammlungen: Pflanzen, Steine, Fische, Fossilien, Krankheiten, Meteoriten. Für alles fanden sich Experten. Die Sammelleidenschaft früherer Forschergenerationen, heute nicht mehr so recht nachvollziehbar, hatte einen einleuchtenden Zweck. Die Wissenschaftler wollten das Chaos der Erscheinungen ordnen. Carl von Linné trat "mit dem Marschallstab in die Natur", er klassifizierte die Pflanzen und gab ihnen einen Ort im Koordinatensystem des Lebens. Rudolf Virchow studierte systematisch die Krankheitszeichen der Zelle, der Russe Mendelejew formulierte das Periodensystem der Elemente. Überall in der Natur entdeckte die Wissenschaft Systeme, ein Gefüge aus gesetzmäßigen Abläufen. In der Ausstellung ist Virchows Schreibtisch zu sehen, umgeben von Präparaten, Schädeln, Büchern und Fotos.

Im nächsten Saal wird die Arbeit von Virchows Berliner Zeitgenossen Hermann von Helmholtz vorgestellt. Mit dem Arzt und Physiker Helmholtz tritt die Wissenschaft in ihre nächste Phase. Auf das Sammeln und Systematisieren folgt das Begreifen und Beherrschen. Die Ausstellung zeigt die Instrumente, mit denen Helmholtz am menschlichen Körper experimentierte. Kennzeichnend für Helmholtz ist, dass er das Experiment dazu benutzt, um aus ihm Regeln und Gesetze abzuleiten. Der Wissenschaftler dringt hinter die Fassade der Objekte. Er verallgemeinert und abstrahiert. Das Sammeln einzelner Dinge wird zweitrangig, es ist keine Erkenntnismethode mehr.

Helmholtz ist insofern der "modernste" unter den dargestellten Forschern im "Theatrum naturae". Seit der Jahrhundertwende aber ist die Naturwissenschaft noch gegenstandsloser, noch unsinnlicher geworden. Heute spucken Computer Prognosen für das Weltklima der nächsten 50 oder 100 Jahre aus, Sequenzier-Roboter produzieren einen endlosen Sermon an Erbinformation, und ein Gewirr von Formeln soll uns den Zoo der Elementarteilchen erklären. Das Theater der Natur leert sich.

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