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Anarchie muss sein. Joost Smiers, 68, beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit Patenten, Urheberrechten und Copyrights. Seine Schlussfolgerung ist radikal: Das Urheberrecht gehört abgeschafft.

© Doris Spiekermann-Klaas

Thema Urheberrecht: „Die Piraten gehen nicht weit genug“

Der Politikwissenschaftler Joost Smiers will das Urheberrecht komplett abschaffen – und damit den Kulturmarkt ankurbeln. In seiner Streitschrift „No Copyright“ beschreibt er eine Welt, in der die Macht der Konzerne gebrochen ist. Ein Interview.

Herr Smiers, in Ihrem Buch "No Copyright" schreiben Sie zur Frage, wie die von Ihnen geforderte Abschaffung des Urheberrechts die Kultur beeinflussen wird: „Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass durch veränderte Produktionsbedingungen bestimmte Genres untergehen.“ Wen trifft’s denn?

Wer viel investiert, wird es schwer haben ohne den durch das Urheberrecht gegebenen Investitionsschutz. Hollywoodfilme, Starkultur – das wäre vorbei.

Würde Kultur dadurch nicht ärmer?
Überhaupt nicht! Im Moment gibt es so viele Künstler, die sehr besondere Sachen machen, aber nicht gesehen werden – weil sie gegen die Marktmacht und Werbung der Kulturkonzerne nicht ankommen. Mit der Digitalisierung hätte das besser werden können, aber dadurch, dass auch das Netz von den großen Playern beherrscht wird, konzentriert sich die Andacht dort auch auf die Stars. Das finde ich falsch. Das ist übrigens auch mein Problem mit den Piraten: Die gehen nicht weit genug, wollen das Urheberrecht nur lockern – den Markt ändern sie dadurch aber nicht. Um aber eine Kultur zu schaffen, die nicht von Konzernen beherrscht wird, müssen wir es ganz abschaffen.

Und dann wird alles gut?
Wenn die Werbung weniger wird, kommen die Leute dazu, mehr darüber nachzudenken, was sie wirklich lieben. Es wird eine größere Vielfalt geben. Dann braucht es auch mehr Kritiker, die das einordnen. Der Diskurs wird wachsen – eine unglaubliche kulturelle Bereicherung!

Ist es so bereichernd, wenn alle gleich sind?
Natürlich wird es auch in einer Welt ohne Urheberrecht noch Künstler geben, die mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere. Es wird sogar Weltstars geben – aber eben nicht eine Bestsellerkultur, die selten das große Talent privilegiert, sondern das, was sich gut bewerben lässt.

Und wie wird Geld verdient?
Das fragt mein Verleger auch immer. Natürlich wird es weiterhin bezahlte Kunst geben. Nur wäre die nicht berühmt genug, als dass sie gestohlen würde.

Aha?
Wer sollte ein Interesse daran haben? Verlage wären doch dumm, wenn sie einem anderen ein Werk stehlen würden. Denn immerhin hat der ja den Künstler unter Vertrag, kann mit ihm Zusatzmaterial entwerfen. Es geht darum, vorne zu sein.

Ein Buch etwa schützt man so aber nicht.
Nicht so, wie es jetzt funktioniert. Aber das wird sich ändern – wie überhaupt die gesamte ästhetische Form: Es wird zusätzliche Features geben. Die Leute werden wissen, dass das Ereignis nur da stattfindet, wo der Künstler selbst weiter mit produziert. Solange das Material für Menschen ernstlich interessant ist, werden die, die mit der Produktion des Originals zu tun haben, auch eine Nachfrage haben. Bei Computerspielen sieht man eine interessante Entwicklung: Die Basisversionen kann man sich gratis herunterladen, Zusatzmaterial ist kostenpflichtig. Das ist nicht so leicht zu kopieren – man erreicht Exklusivität durch Originalität, ohne ein Schutzrecht zu brauchen. Beispielhaft!

Immer kommunizieren und weiterproduzieren – das ist nichts für jeden.
Das stimmt. Ich habe eine Freundin, die eine sehr gute, aber auch sehr schüchterne Schriftstellerin ist. Sie wird es schwer haben. Nicht, dass sie es heute leicht hätte, aber die Dynamik ist anders. Grundsätzlich ist es aber gut, wenn Künstler mehr mit dem Publikum als mit der Marketingabteilung kommunizieren.

Aber auch unheimlich kräftezehrend!
Ja, aber alles ist besser als das, was wir im Moment machen: Wir frieren die Kultur ein. Der Dialog wird verhindert, die Fortentwicklung von Meinungen, Ansichten, Diskursen, Ideen. Genau das aber passiert, wenn wir uns wirklich auseinandersetzen wollen: Wenn ich das Material des jährlichen Disney-Weihnachtsfilms nehme, umschneiden und neu betexten würde, hätte ich sofort jede Menge Ärger. Dabei würde ich das so gerne tun!

Sie wollen also doch den Werken zuleibe rücken – bis es sie nicht mehr gibt!
Nein, die Originalität besteht auch fort, wenn Kunst kein Eigentum mehr ist! Aber die Diskussion darüber, ob etwas gut vollendet ist, ob ein Künstler die Möglichkeiten seines Materials wirklich ausnutzt, muss es in Zukunft stärker geben – auch performativ. Vielleicht respektieren wir den Künstler dann ja umso mehr.

"Filme sind in der Tat ein schwieriges Thema."

Wir müssen jetzt noch mal über Kultur reden, die richtig viel Geld kostet. Film ist in Ihrem Buch ja ein spezielles Thema ...
Das ist in der Tat schwierig. Ich schlage eine mehrmonatige Schutzfrist vor, die es ermöglicht, die Ausgaben einzuspielen.

Dann warten die Konsumenten eben ein paar Monate. Überschätzen Sie nicht die Fairness derer, die Kultur rezipieren?
Nein, wir sprechen hier schließlich nicht mehr von einem Blockbuster-Publikum, sondern von Menschen, die sich sehr mit den jeweiligen Künstlern identifizieren.

Davon gibt es genug in einem Land?
Vielleicht nicht in einem Land. Aber das ist ja auch eine der negativen Auswirkungen der Hollywood-Kultur, dass sie alle anderen Filmtraditionen international marginalisiert. Ich habe in den 1970ern in Amsterdam Filme von Bergman, Fellini und Fassbinder gesehen. So ein Austausch findet heute ja gar nicht mehr statt.

Bleibt die Frage, wie Sie verhindern wollen, dass sich auf dem Disney-bereinigten Markt nicht neue Dominanzen ausbilden ...
Das ist ja einer der zentralen Punkte unseres Buches: dass wir kein Urheberrecht oder Copyright brauchen, aber ein internationales Wettbewerbsrecht, das verhindert, dass sich Monopole bilden. Wir brauchen starke Kartellbehörden weltweit, die einschreiten, sobald sich ein Unternehmen anschickt, durch seine Größe Wettbewerb zu verhindern.

Verstanden. Zuletzt aber noch einmal die Frage an den Menschen Joost Smiers: Gibt es wirklich nichts, das Sie in einer Kultur ohne Urheberrecht vermissen würden?
Nein, dann wird es so viele andere Sachen geben. Ich bin nicht sentimental, ich bleibe neugierig.

Das Interview führte Johannes Schneider.

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