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Wäre gern unsichtbar. Thom Yorke.

© XL

Thom Yorkes neues Album "Amok": Der König von Tackerklackerland

Radiohead-Sänger Thom Yorke schließt mit dem prominent besetzten Bandprojekt Atoms For Peace an sein Solo-Debüt "Eraser" an und betreibt faszinierende Electronica-Forschung.

Thom Yorke ist ein außergewöhnlicher Tänzer. Sein Körper scheint in einen hyperelastischen Zustand überzugehen, sobald er sich zu Musik bewegt. Gut zu beobachten war dieser Effekt etwa in dem Schwarz-Weiß-Video zum Song „Lotus Flower“ seiner Band Radiohead, in dem er mit eigenartiger Anmut zwischen Biege- und Hampelmodus pendelte.

Jetzt hat sich Yorke mit seinem Projekt Atoms For Peace und dem am heutigen Freitag erscheinenden Album „Amok“ (XL Recordings) neun neue Zappelvorlagen geschaffen. Sie tackern und klackern so vielschichtig umher, dass für jede Extremität eine eigene Rhythmusspur geboten ist. Diese abstrakte Schlaumeier- Tanzmusik hat der 44-jährige Sänger aus Oxford zusammen mit einer namhaften Kollegenriege geschaffen: Den Bass spielt Flea von den Red Hot Chili Peppers, Joey Waronker (Beck, REM, Air) sitzt an den Drums, Mauro Refosco ist für Percussion und Nigel Godrich für die Produktion zuständig. Ursprünglich hatte Yorke diese Gruppe zusammengestellt, um mit ihr sein Solodebüt „Eraser“ live aufzuführen. Er benannte sie nach einem Song dieses elektronischen Albums: Atoms For Peace. Nachdem die Band 2010 acht Konzerte gegeben hatte, buchte Yorke ein Studio in Los Angeles. Drei Tage lang jammten die Musiker, wobei er und Godrich eine Art Dirigentenfunktion übernahmen. In einem Interview mit dem „Rolling Stone“ erklärt Yorke: „Es ging darum, zu versuchen, interessante Grooves zu bekommen. Als wir zum ersten Mal zusammen rumhingen, waren wir bei Flea zu Hause, betranken uns, spielten Pool und hörten die ganze Nacht Fela Kuti.“

Diese Nacht hat vor allem auf dem Eröffnungssong „Before Your Very Eyes“ Spuren hinterlassen: Dessen erste Hälfte ist deutlich von westafrikanischer Popmusik beeinflusst, das markante, schnelle Gitarrenmotiv krallt sich sofort im Ohr fest. Nach etwa zwei Dritteln Laufzeit werden die Gitarre und auch der Bass von Synthesizern abgelöst, die erst herumflackern und sich dann zu majestätischen Flächen zerdehnen.

Es ist ein ungemein anregendes Stück, und es setzt den Ton für den Rest dieses klugen, verwinkelten Werkes, mit dem Thom Yorke seine Electronica-Forschungen, die er seit Beginn des Jahrtausends mal mit mal ohne Radiohead durchführt, auf eine neue Ebene hebt. So beruht etwa der Reiz von „Ingenue“ auf einer stetig aus dem Bassbereich ins Sirenenhafte ansteigenen Synthesizer-Melodie, die perfekt zu Yorks sanftem Gesang passt. Es klingt, als schmiegten sie sich umeinander. Nur ein stur auf dem rechten Kanal herumklöppelnder hölzerner Beat verhindert, dass die Angelegenheit zu schön wird. „Amok“ sperrt sich auch sonst gegen den beiläufigen Konsum. Auf leicht wiedererkennbare Refrains verzichten Atoms For Peace vollständig. Stattdessen erschaffen sie eine nervöse, unheimliche Atmosphäre, die sich auch im Cover-Artwork spiegelt. Das zeigt eine apokalyptische Szenerie mit vom Himmel fallenden Feuerbällen.

Der Einfluss des britischen Dubstep und Post-Dubstep scheint ebenso auf wie der von Elektrohäcksel-Meister Flying Lotus aus Los Angeles. Darüberhinaus erinnert Atoms For Peace an die Band-Projekte von Damon Albarn. Der Blur-Sänger rief mit The Good The Bad And The Queen oder zuletzt mit Rocket Juice & The Moon immer wieder spannende Allstar-Bands ins Leben. Letztere veröffentlichten 2012 ein fantastisches Afrobeat-inspiriertes Album, auf dem ebenfalls Flea als Bassist agierte. Die teils skizzenhaft wirkenden Songs darauf entstanden ebenfalls in Jam-Sessions. Allerdings wurden sie anschließend nicht so stark am Computer überarbeitet wie das „Amok“-Material, dessen improvisierte Herkunft auf der Platte kaum noch durchscheint.

Godrich und Yorke haben einen Sound geschaffen, der elegant die Mensch-Maschine-Balance hält. Manchmal verschmelzen beide Ebenen auch ununterscheidbar miteinander. So wie Yorkes Stimme, die immer wieder vom Hall verweht wird. „How to Disappear Completely“ heißt ein Radiohead-Song. Völlig im Klang zu verschwinden – das scheint Yorkes Traum zu sein.

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