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Kultur: "Thomas Bernhards Österreich": Tu, verflixtes Austria!

Hier steht Thomas Bernhard und isst Eis. Soviel kann jeder sehen.

Von Gregor Dotzauer

Hier steht Thomas Bernhard und isst Eis. Soviel kann jeder sehen. Nicht sehen kann man, dass er wahrscheinlich längst darüber nachdenkt, wie schrecklich und verlogen, ja wie letzlich unzumutbar es ist, sich mit tropfenden Süßigkeiten über die tieferen Wahrheiten des Lebens hinwegzumogeln, und wie man das in langen, mehrfach ineinander verschraubten Haupt- und Nebensätzen auf vier, fünf oder gar sechs Seiten ausspinnt, bis auch der Letzte davon überzeugt ist, dass es nicht Schlimmeres gibt, als sich mit einer Tüte Eis seines Lebens zu freuen.

Nicht unbedingt wissen kann man beim Anblick von Erika Schmieds Foto, das zusammen mit rund 130 anderen Schwarzweißaufnahmen in ihrer Ausstellung "Thomas Bernhards Österreich - Schauplätze seiner Jugend und seiner Romane" zu sehen ist, dass im Hintergrund Schloss Wolfsegg aufragt, das in Bernhards Roman "Auslöschung" als "Haus Österreich" vorkommt. Als Beispiel für Schmieds Arbeitsweise ist es untypisch, für sich genommen aber auch interessanter als viele andere Aufnahmen, die erst durch den Seriencharakter lebendig werden. Sie illustrieren - mit knappen Kommentaren von Wieland Schmied und treffenden Zitaten - im Nachhinein ein abgeschlossenes Werk, dessen nachhaltig autobiografische Grundierung die größte Überraschung dieser Bilder ist.

Wer Bernhard nicht kennt, wird ihn über diese Ausstellung, die aus dem Material zweier Bildbände im Salzburger Residenz Verlag zusammengestellt ist, nicht unbedingt kennenlernen. Denn ihre durchweg menschenleere Kühle hat keinen Schrecken, und das Kleinbürgerlich-Provinzielle, das aus ihnen spricht, erklärt nicht die Hass- und Ekelattacken auf Österreich, die Bernhard in seinen Texten ritt. Das Krankenhaus, die Lungenheilanstalt oder der Friedhof - selbst die Orte des Todes und Verfalls werden ohne perspektivische Verrenkungen, beinahe sachlich dargestellt und erst durch die Texte beseelt. Was nicht gegen Erika Schmieds immense Recherchearbeit spricht, die mehr als alles Atmosphärische zählt, sondern für Bernhards Kunst, Orte durch Sprache zu verwandeln.

Die chronologisch angelegte Ausstellung beschäftigt sich Buch für Buch fast mit Bernhards gesamtem Werk - mit einem Umschlag als Kapitelauftakt und einer mit Marker gekennzeichneten Umgebungskarte des jeweiligen Schauplatzes. Man merkt dabei gar nicht, wie es Bernhard, je älter er wurde und je dicker seine Bücher wurden, am Ernst seiner Verzweiflungsprosa gebrach. Schon seine fünf unmittelbar autobiografischen Bücher "Die Ursache", "Der Keller", "Der Atem", "Die Kälte" und "Ein Kind" waren ironiedurchglüht, doch seine großen Österreichvernichtungsfantasien nahmen bis zu seinem Tod im Jahr 1989 mehr und mehr spielerische Züge an, und seine stilistischen Obsessionen wurden zur Manier. Hat ihm Eisesssen womöglich wirklich Spaß gemacht?

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