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Porträt von Thomas Glavinic.

© dpa

Thomas Glavinics Poetikvorlesungen: Könnte ich sein

Gefangener seiner Neurosen und Ängste: Schriftsteller Thomas Glavinic hält Poetikvorlesungen in Bamberg - und kapituliert vor der Wirklichkeit.

Die Studenten der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg müssen ganz schön verblüfft gewesen sein, als Thomas Glavinic ihnen vor zwei Jahren im Rahmen einer Poetikdozentur erst einmal eine Liste seiner Vorlieben und Abneigungen präsentierte. „Ich mag Freiheit“, hob der 1972 in Graz geborene österreichische Schriftsteller an, um dann fortzufahren, dass er den Sommer, Fußball oder Musik mag, Mücken, Zecken und Wespen aber nicht so, dass er Fisch mag, aber kein Lamm, dass er Zivilcourage mag und Mut, aber, natürlich, wer mag die schon?, keine Feiglinge. Und so weiter.

Was soll das denn jetzt?, dürften sich vor allem die Studenten gefragt haben, die von Thomas Glavinic bisher noch nicht so viel gehört oder gelesen hatten, will der uns auf den Arm nehmen? Wollte er sicher nicht – nur ist Thomas Glavinic ein Schriftsteller, der gern Erwartungen unterläuft und nicht gleich, nur weil sich das bei einer Poetikdozentur so gehört, mit weitreichenden poetologischen Reflexionen seiner Arbeit beginnt. Der ironisch wirkt, es aber gar nicht ironisch meint. Der gern erst kräftig vor viele Köpfe stößt, um sie gleich danach sanft zu streicheln, und der nicht zuletzt etwas Hemdsärmeliges hat, mehr noch als in seiner Literatur im richtigen Leben.

Trotzdem hat Thomas Glavinic in Bamberg, wie man in dem auf seinen Vorlesungen basierenden und mit einem Vorwort des von ihm verehrten schottischen Schriftstellers John Burnside ausgestatteten Buch „Meine Schreibmaschine und ich“ nachlesen kann, mit dem Nachdenken über das eigene Schreiben nicht gegeizt. Schon in der „Was ich mag und was ich nicht mag“-Vorlesung geißelt er „all das Gemauschel, all die Eitelkeit, all der Neid“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, was ihm selbst ganz fremd zu sein scheint. Und schon hier taucht neben der Vorliebe für Romane, deren Lektüre er jederzeit für jeden von ihm gleichfalls hochgeschätzten Sportwagen eintauschen würde, und für „Talent, Tiefe und Fleiß“ als Voraussetzung für gelingende Bücher auch schon jene Liebe zu guten Ideen auf: „Wenn eine große Idee zu mir kommt, wenn plötzlich etwas da ist, das einen Roman tragen könnte, bin ich glücklich. Es ist, als hätte ich Nachricht aus einer Welt empfangen, zu der Menschen gewöhnlich keinen Zugang haben.“

Thomas Glavinic und seine innere Stimme

Mit diesen nicht zu erzwingenden Ideen setzt sich Glavinic im Folgenden intensiv auseinander – von seiner Fähigkeit, sie tatsächlich „sehen“ zu können, „wie eine Skulptur“, über ihre möglichen Abgründe, die es ihm nicht erlauben, sie auf Papier zu bringen, bis hin zu einer „inneren Stimme“, die ihm sagt, dass er auf Abwegen oder eben dem richtigen Weg sei. Natürlich schränkt Glavinic sofort ein, dass das mit der inneren Stimme womöglich ein ziemlich esoterischer Quatsch sein könnte – aber letzten Endes will er auf diese Stimme doch nichts kommen lassen.

Thomas Glavinic erzählt, warum er und wie er Schriftsteller wurde, wie er arbeitet, und zwar tatsächlich noch mit einer Olivetti Lettera 32, an der er in Produktionsphasen täglich zwei Seiten schreibt – und was sich unter seinen vermeintlich „seichten“ Oberflächen verbirgt. Denn seine sich in der Regel gefällig lesende Prosa ist das eine – das andere aber, dass sich Glavinic oft als „Gefangener seiner Neurosen und Ängste“ fühlt und ihn genau das antreibt und in so manchen dunklen Bezirk führt, wie man Romanen von ihm wie „Der Kameramörder“, „Die Arbeit der Nacht“ oder „Lisa“ deutlich anmerkt.

Und der in Wien lebende Schriftsteller erzählt schließlich in den vier Vorlesungen präzise, wie fast jedes seiner inzwischen zehn Bücher zustande kam. Angefangen von dem 1998 erschienenen Debüt „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“, einem historischen Roman, über sein zweites, seiner Ansicht nach ästhetisch total missglücktes Buch „Herr Susi“, bei dessen Abfassung er nur auf den ihn drängenden Verlag, aber nicht auf seine „innere Stimme“ hörte, bis hin zu dem 2013 veröffentlichten Roman „Das größere Wunder“, den er vor Jahren begann, wieder liegenließ und von dem er große Teile wieder verwarf.

"Ich weiß nicht, ob ich ein guter Schriftsteller bin, ich weiß gar nichts"

Dass er einmal mehr zurückweist, mit dem Thomas Glavinic des autofiktionalen Romans „Das bin doch ich“ allzu viel zu tun zu haben, mag zwar etwas enttäuschend sein: Wer hätte nicht gedacht, dass er doch nicht ich ist? In diesem Zusammenhang wären zumindest ein paar mehr Betrachtungen zu der Beziehung von Fiktion und Wirklichkeit angebracht gewesen. Aber frappant ist schon Glavinics Offenheit, sein verbales Ringen damit, insbesondere hinter seine drei mitunter rätselhaften, doppelbödigen, mit einer verschobenen Wirklichkeit spielenden Jonas-Romane zu kommen, eben „Unerklärbares zu erklären“ – und wie ihm das nur unzureichend gelingt. Vor diesem Hintergrund muss man auch eine zunächst lässig-provokativ hingeworfene Äußerung wie: „Ich weiß nicht, ob ich ein guter Schriftsteller bin, ich weiß gar nichts“ verstehen – es kann durchaus hilfreich für einen Schriftsteller und seine Kreativität sein, nicht jedes eigene Buch komplett durchzupoetologisieren.

Buchcover: Thomas Glavinic: Meine Schreibmaschine und ich.
Thomas Glavinic: Meine Schreibmaschine und ich.

© Edition Akzente Hanser/ promo

Am Schluss, nach einem unterhaltsamen Gespräch mit einem fiktiven Interviewer, der ihn wahlweise Glavinik, Glawnik oder Glawinitsch nennt, kapituliert Glavinic endgültig vor der Wirklichkeit. Er gesteht, dass er dieser überhaupt nicht vertraue, er ihr gar alles zutraue, „sogar ihre eigene Nichtexistenz!“. So viel Freiheit muss sein. Gut möglich, dass Thomas Glavinic schließlich auch von den verblüfften Bamberger Studenten richtig lieb gewonnen wurde.

Thomas Glavinic: Meine Schreibmaschine und ich. Hanser Verlag, München 2014. 120 Seiten, 14,99 €.

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