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Thomas Gottschalk verabschiedet sich vom Fernsehen: Ein Leben für die Unterhaltung
In der RTL-Show „Denn sie wissen nicht, was passiert“ verkündet Thomas Gottschalk seinen Renteneintritt. Was er für das deutsche Fernsehen geleistet hat, war enorm.
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Alles, aber kein Nachruf, soll dieser Text werden. Thomas Gottschalk hat sich zwar am Samstagabend von der Fernsehbühne verabschiedet. Aber so entschlossen, wie er sich im Trio mit Günther Jauch und Barbara Schöneberger in der RTL-Show „Denn sie wissen nicht, was passiert“ zeigte, darf ihm geglaubt werden, dass er den Kampf gegen den Krebs aufgenommen hat und sich den Wunsch nach Genesung unbedingt erfüllen will. Zu wünschen ist ihm das wahrlich.
Im Gespräch mit Günther Jauch, seinem Freund seit gemeinsamen Radio-Tagen, sagte Gottschalk: „Ich habe die beste Zeit erlebt, die es im Fernsehen gab.“ Er freue sich auf seine Rente. Über seine Krebsdiagnose spreche er nicht gerne, diese sei „sehr selten und sehr gefährlich offensichtlich“. Es gehe ihm jedoch „ausgezeichnet“. Jauch fragte, ob der Krebs nach der Behandlung verschwunden sei. „Man kann Daumen drücken und hoffen, dass er weg ist“, antwortete Gottschalk. „Ich bin ein positiver Mensch.“
Das Studiopublikum reagierte mit rauschendem Beifall und hielt Plakate wie „Thomas, Du bist eine Legende“ in die Luft, als der Entertainer die Show nach anderthalb Stunden mit seiner Frau Karina verließ. Vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme wie auch die Tatsache, dass RTL die Show leicht zeitversetzt ausgestrahlte, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können.

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Natürlich ist der Goodbye des 75-Jährigen ein Einschnitt für ihn und das Publikum. Und es ruft dazu auf, sich daran zu erinnern, was der gebürtige Kulmbacher als Moderator, als Entertainer, als Schauspieler und als Sänger zuwege gebracht hat.
Gut, der Schauspieler Gottschalk hat mit seiner Filmografie tief in die Klamottenkiste („Zwei Nasen tanken Super“!) gegriffen, der Sänger („What Happened to Rock’n‘-Roll“) war schneller vergessen als die Platte gepresst war, immerhin der Fortsetzungsroman „Der Sprung ins Himmelbett“ in der „Bravo“ 1979 wurde mit der ersten Autobiografie „Herbstblond“ 2015 deutlich überschrieben.
Thomas Gottschalk war 21, als er 1971 beim Bayerischen Rundfunk anheuerte. Wer nur wenige Jahre später bei Bayern 3 „Pop nach acht“ hörte, der hörte einen Moderator, der gegen den Mief der 70er Jahre im CSU-Bayern ansendete. Er war frech, spontan, er war live-fähig, seine Musikauswahl war progressiv – Gottschalks Sendung war eine akustische Revolution.

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Alles Eigenschaften, die das verstaubte Unterhaltungsfernsehen brauchte. Das ZDF griff als erster zu. Mit „Na sowas“ brach der Blondgelockte ein in die Phalanx der Moderatoren, die ihre Anzug-und-Krawatte-Shows im Kanon tradierter Benimmregeln absolvierten. Gottschalk saß die Zunge bedenklich locker, er riss die Zäune zu Spiel und Spaß nieder, seine Garderobe lappte ins Schrille hinüber.
Das unerhörte „Wetten, dass..?“
Und dann „Wetten, dass...?“, diese Mischung aus (Bagger-)Spielen, einem weiträumigen Sofa und Gästen, die in eine deutsche Fernsehshow Unerhörtes brachten: Weltstars. Cher, Michael Jackson, Robbie Williams, you name it.
Thomas Gottschalk ließ sich dafür aus dem kalifornischen Malibu einfliegen, wo er mit seiner Familie ein Leben fern des deutschen Boulevards leben konnte. Das später abgebrannte US-Domizil hinderte ihn übrigens nicht daran, den weltweit längst laufenden Werbevertrag mit Haribo zu erfüllen.

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„Wetten, dass…?“ war in Länge, Breite und Höhe ideal für den Show-Deuter Gottschalk. Hier verbündete sich der Fernsehgott mit dem TV-Schalk. Er überzog, er umarmte mit seinen Albatros-Armen Gäste, Publikum und Wettkandidaten. Er entzündete in insgesamt 154 Ausgaben zwischen 1987 und 2023 ein TV-Lagerfeuer, das auch nach Sendeschluss weiterzüngelte.
Thomas Gottschalk war hier in seinem Element und auf seinem Höhepunkt, seine Show und ihr Moderator waren miteinander verwachsen. Gottschalk hat die deutsche Fernsehunterhaltung gepimpt und dem deutschen Publikum glaubhaft versichert, dass Amüsement und Lässigkeit keine Sünde sein müssen.
Und doch zog er sich 2011 nach dem schlimmen Unfall von Samuel Koch zurück, weil er „einen Schatten“ über der Sendung sah, und doch kam er zurück, um die letzte Ausgabe von „Wetten, dass...?“ 2023 erneut vor einem zweistelligen Millionenpublikum zu präsentieren.
Zielpunkt von Kritik bis Häme
Thomas Gottschalk war zu einer solchen Fernsehgröße gewachsen, dass ihm danach die Sender, ob privat oder öffentlich-rechtlich, regelrecht nachliefen. Die Formate bei ARD, RTL oder Sat 1 wechselten sich ab, ein so sagenhafter Erfolg wie „Wetten, dass?“ wollte sich nicht wieder einstellen.
Bei einem dieser Engagements gab sich der menschenfreundliche Charakter des gläubigen Katholiken zu erkennen. Kurzzeitig ersetzte er Dieter Bohlen bei der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“. Das musste ein Zwischenspiel bleiben, denn wo Bohlen mit seiner Niedermacher-Masche die Quote trieb, da suchte Gottschalk bei mangelndem Talent mehr den Trost für die Kandidaten, als dass er die Keule schwang.

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Musste sich T.G. deswegen grämen? Musste er nicht, er blieb im Geschäft und kapitalisierte seinen TV-Ruhm, wo immer ein sattes Honorar winkte. Der irdische Gottschalk musste in diesen Zeiten freilich erfahren, was dem überirdischen Gottschalk furchtbar wurscht gewesen sein konnte – er wurde zum Zielpunkt von Kritik bis Häme, wenn neue Sendungen nur eine kurze Halbwertzeit hatten, ihm wieder ein echter oder ein vermeintlicher Fauxpas vorgeworfen werden konnte.
In den Social-Media-Zeiten ist alles skandalisierungsfähig und das in Sekundenschnelle. Dagegen ist keiner gefeit, und Thomas Gottschalk hat ordentlich was abbekommen, weil er ordentlich vorgelegt hat. So bekannte er, Frauen „rein dienstlich angefasst zu haben“. Maite Kelly beleidigte er in einem Bodyshaming-Angriff.
Seine Äußerungen über die „verzweifelten“ Geschiedenen, die weniger Gewicht hätten als „gut versorgte“ Verheiratete, waren Munition für die Empörungsschleudern. Gottschalk zog sich dann hinter die Verteidigungslinie zurück, es sei ihm nie darum gegangen, zu provozieren oder jemanden zu verletzen. Ja doch, es wirkte so, als wäre Gottschalk aus der Zeit gefallen.

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Ein TV-Format entzog sich der Götterdämmerung des Thomas Gottschalk: „Denn sie wissen nicht, was passiert“, bei RTL am Samstag um 20 Uhr 15. Eine Live-Langstrecke von fast vier Stunden, die die Unterhaltungsprofis Gottschalk, Jauch und Schöneberger mit Zusammenspiel, Schlagfertigkeit und Improvisation prägten.
Herausforderungen, die das Trio über sieben Jahre und in 48 Ausgaben meisterte. Es ist gerecht und würdig, dass Thomas Gottschalk mit dieser Show abgetreten ist, im Fernsehen seinen Abschied vom Fernsehen feierte.
Ein Mann geht in Rente
„Das sieht man nicht oft im deutschen Fernsehen. Ein Mann geht in Rente. Er geht tatsächlich“, sagte ein gefasst und vielleicht auch ein wenig erleichtert wirkender Thomas Gottschalk auf seinem Weg aus dem Studio. Passte schon, dass dieser Moment „historisch“ genannt wurde. Danach wurde die Sendung fortgesetzt, denn an einer eisernen Regel kommt kein Entertainment vorbei: The show must go on.
So merkwürdig, so fragwürdig, so denkwürdig das ist: Als Thomas Gottschalk mit seiner Frau die Krebserkrankung öffentlich machte, drehte sich die Ekpathie in Empathie um. Jetzt will keiner ein böses Wort über den Erkrankten verlieren. Jetzt werden Daumen gedrückt, die vorher nach unten gezeigt wurden.
Nein, kein Nachruf soll das sein, aber wenn dieses sich über mehr als fünf Jahrzehnte erstreckende Lebenswerk gewürdigt sein will, dann bitte so: Thomas Gottschalk hat sich um das deutsche Fernsehen verdient gemacht.
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