zum Hauptinhalt
Was machen wir hier? Blick in Schüttes Ausstellung mit den älteren „Gartenzwergen“ und einer aktuellen Serie von Holzschnitten.

© Galerie Carlier Gebauer / VG Bildkunst, Bonn 2017

Thomas Schütte bei Carlier Gebauer: Fremde Freunde

Furchtlos: Nach langer Pause zeigt der Bildhauer Thomas Schütte neue Werke in der Galerie Carlier Gebauer.

Wer will, der kann in Berlin gerade eine Thomas-Schütte-Tour machen: vom Großen zum Kleinen, zum Breiten. Sie beginnt mit den drei „Geistern“, Schüttes Riesenskulpturen im Garten des Berggruen-Museums, und führt über den Hamburger Bahnhof, wo der Düsseldorfer Bildhauer in der Ausstellung „Moving is in every direction“ mit drei Installationen vertreten ist, die kleinfigurig aus „Mohr’s Life“ erzählen. Die dritte Station bietet sich in der Galerie Carlier Gebauer mit einem Überblick über das Schaffen der letzten sechs Jahre. Dieser Schütte-Parcour quer durch Berlin demonstriert zugleich, was Galerien in der Stadt leisten: Sie bewegen sich mit ihren Ausstellungen auf Museumsniveau.

Die Schau zum Abschluss dieser Runde imponiert. Hier führt einer der wichtigsten deutschen Bildhauer vor, was er kann, und die Galerie liefert ihm den Rahmen dafür. Die Sammler nutzten gleich zum Gallery Weekend die Gelegenheit, sich Werke des am Markt so raren Künstlers zu sichern. Der Großteil wurde während der Eröffnungstage verkauft, bis hin zum teuersten Stück für 1,2 Millionen Euro, den „Fratelli“: vier monumentale Bronzeköpfe, die einander grimmig anschauen. Zwei tragen Hut, zwei lockiges Haar. Machtvolle Männer, die in all ihrer Größe doch lächerlich wirken, ein verzwicktes Spiel zwischen Form und Inhalt.

Bei Schütte geht es immer wieder um Figuration und Konstellation, stets kehrt er zu bestimmten Themen zurück, ebenso wie er wechselnd in verschiedenen Medien arbeitet, unterschiedliches Material verwendet. Vermutlich hat er diese Offenheit zu allen Seiten hin von seinem Lehrer Gerhard Richter, bei dem er neben Fritz Schwegler an der Kunstakademie in Düsseldorf bis 1981 studierte. Allerdings macht Schütte weit größere Schritte als sein Lehrer, steigt er doch an einem Tag von der Bildhauerei zur Architektur und weiter zum Holzschnitt um. Der Künstler arbeitet parallel auf den verschiedenen Feldern, unterhält dafür mehrere Ateliers.

Die Skulpturen lassen sich auch als Urnen betrachten

Diese Fülle breitet sich auch in der Galerie Carlier Gebauer aus. Den Besucher empfangen sieben Keramiken, „Gartenzwerge“ genannt, die das Thema der „Fremden“ wieder aufgreifen, mit denen Schütte 1992 auf der Documenta in Kassel schlagartig bekannt wurde. Inzwischen stehen die Figuren wieder in einer Reihe auf dem Kaufhausdach neben dem Fridericianum und wirken noch eindringlicher als vor 25 Jahren. Damals wollte Schütte an die Flüchtlinge des ersten Golfkriegs erinnern; heute suchen Hunderttausende eine neue Heimat und stehen als „Fremde“ da. Trotz aller Reduktion der Körperlichkeit auf geometrische Grundformen, wie man sie von den Theater-Figurinen eines Oskar Schlemmer kennt, besitzen die nun zusammengerückten, metergroßen Skulpturen ein starkes psychologisches Moment: Wer steht wo? Wer spielt welche Rolle? Der Betrachter beginnt sogleich zu personifizieren, begibt sich in eine Interaktion mit den Werken.

In einem abgedunkelten Kabinett treten die Gartenzwerge nochmals auf, diesmal kleiner und aus Murano-Glas. Auf zwei runden Tischen platziert und in strahlendes Licht getaucht, leuchten die Gestalten in Rot, Grün, Gelb, Orange und Blau, nun eine scheinbar heitere Gesellschaft. Doch bei Schütte gibt es immer noch die andere Seite, die Skulpturen lassen sich auch als Urnen betrachten. Das passt zum „Modell Sarg“ aus stählernen Streben, die einen Korpus bilden, der zugleich das Modell für ein Mausoleum sein könnte – kleine Treppenstufen deuten es an. Wieder springt das Auge hin und her, versucht die verschiedenen Dimensionen miteinander zu vereinbaren. Etienne-Louis Boullées Kenotaph für Newton könnte Pate gestanden haben, ebenfalls der Entwurf eines Fantasten.

Schütte, der Modellbauer und Architekturexperimentator, aber übersetzt seine Entwürfe mittlerweile in die Realität. Auf der anderen Seite des Rheins, in Neuss hat er sich eine Skulpturenhalle als Depot gebaut: im Keller das Lager, darüber ein runder Ausstellungsraum unter einem schwebenden Dach. Der Geschichte nach standen eine Streichholzschachtel und ein darauf gelegter Kartoffelchip dafür Modell. Das Ergebnis ist ein atemberaubend schöner Raum, für Skulpturen perfekt geeignet. Der Künstler zeigt nicht nur eigene Arbeiten darin, sondern auch die von Freunden. Gegenwärtig sind Werke von Paloma Varga Weisz zu sehen, die wie Schütte als figurative Bildhauerin arbeitet, zeichnet und aquarelliert.

Schütte wagst sich selbst an historische Darstellungen heran

Die Schütte-Schau bei Carlier Gebauer breitet den Kosmos des Künstlers aus, der sich immer wieder auch auf die Kunstgeschichte bezieht. Seine drei kleinen Bronzefrauen deklinieren die klassischen Posen der Liegenden, Knienden etwa eines Henri Laurens durch. Doch Schütte nimmt es spielerisch. Wird nichts daraus, haut er die Tonfigur einfach platt und lässt auch dies Ergebnis in Bronze gießen, als wär’s ein Scherz – oder eine Verbeugung vor den Vorgängern. Schöner scheitern.

Nur wenige Bildhauer sind so furchtlos wie Schütte, selbst an historische Darstellungen wagt er sich heran. Und gewinnt. Sein „General“ ist nur wenige Zentimeter groß, die zerknautschte Fratze glänzt silbern, seinen schmächtigen Körper umschlingt ein kariertes Hemd, das seine Machtlosigkeit nur betont. Armer kleiner Mann, doch welche Kraft steckt in dem bösen Gesicht. Leider sind Generäle keineswegs von gestern. Sie agieren heute nur anders. Schütte schafft sich damit seine eigene Zeitlosigkeit (Preise: zwischen 65 000 und 1,2 Millionen Euro).

Galerie CarlierGebauer, Markgrafenstr. 67, bis 7. 6.; Di–Sa 11–18 Uhr

Zur Startseite