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Devid Striesow in Thorsten Lensings Interpretation von Dostojewskis "Karamasow".

© Arwed Messmer

Thorsten Lensing inszeniert "Karamasow": Ein Hund steckt in der Kunstschneemaschine

Thorsten Lensing interpretiert Dostojewski und demonstriert selbstbewusstes Virtousentum: „Karamasow“ in den Sophiensälen - mit Devid Striesow.

In der Theaterszene wird Thorsten Lensing als eine Art Wiederentdecker der Langsamkeit gefeiert. Während andere Regisseure schon mal vier bis fünf Abende pro Saison inszenieren, leistet sich der 45-Jährige bewusst den schöpferischen Luxus, nur alle zwei bis drei Jahre eine Premiere herauszubringen. Entsprechend hoch schießen dann die Erwartungen. Zumal Lensings erklärte Verweigerung von Schnellschüssen und anderen Effizienzgeboten, die Theaterabende ja tatsächlich immer öfter wie „Tatorte“ aussehen lassen, auch Schauspielstars reizt. Der Regisseur verpflichtet regelmäßig Hochkaräter von Devid Striesow bis Josef Ostendorf, von Joachim Król bis Ernst Stötzner.

Lensings Arbeitsideal besteht darin, Texte so weit wie möglich aus ihren eingefahrenen Deutungsgleisen zu befreien und quasi im elementaren Spiel neu zu vitalisieren. Damit sich Vor-Urteile und aufgestaute Schein-Gewissheiten verflüchtigen, lese er ein Stück „nicht fünf oder zehn, sondern an die 60 Mal“, hat Lensing einmal gesagt. Außerdem schreibe er jeden Text erst einmal vollständig handschriftlich ab, bevor er ihn inszeniere.

Ob sich dieses Arbeitsethos auch bei Fjodor Dostojewskijs Tausendseiter „Die Brüder Karamasow“ aufrechterhalten ließ, die der Regisseur jetzt genau 36 Monate nach seiner letzten Inszenierung in den Sophiensaelen auf die Bühne bringt, ist nicht bekannt. Fest allerdings steht, dass die Textfassung, die schlicht „Karamasow“ heißt und unter Mitarbeit des Berliner Theaterkritikers Dirk Pilz entstand, gar nicht erst versucht, es mit der Komplexität des Romans aufzunehmen. Sie kassiert den alten Karamasow ebenso wie dessen ältere Söhne Dmitrij und Iwan, die Krimihandlung, den Vatermörder und Lakaien Smerdjakow. „Karamasow“ bekennt sich zur Ausrisshaftigkeit und referiert Dostojewskis Glaubensfragen, die Schuld-und-Sühne-Diskurse vier Stunden lang vornehmlich an den im Roman auftretenden Kindern und Tieren entlang.

Devid Striesow hebt den Alterdurchschnitt

Da hebt Devid Striesow als 19-jähriger, einzig in der Fassung verbliebener Karamasow-Spross Aljoscha gewissermaßen schon den Altersdurchschnitt. Der 72-jährige Schauspieler Horst Mendroch etwa tritt als neunjähriger Iljuscha mit kurzen Hosen an den zunächst hibbeligen Beinen auf: ein im zweiten Teil ans Bett gefesseltes sterbendes Kind, das einerseits seinen schwachen Vater zu beschützen und andererseits Hunde mit nagelgespickten Leckereien ins Jenseits zu befördern sucht. Auch der 13-jährige Kolja Krassotkin empfiehlt sich nicht direkt als Sympathieträger. Sebastian Blomberg spielt ihn als perfekt altklugen Präpotenzler, der eitel vor sich hinschwadroniert, wie er sich einst für eine Zwei-Rubel-Wette zwischen zwei Bahnschienen gelegt und damit als Tollkühnling quasi unsterblich gemacht hat. Selbstwahrnehmungstenor: „Obwohl ich auf alles herabsehe und die Nase hoch trage, bin ich ... keineswegs überheblich.“

Komplettiert wird Lensings bewusst ältlich angelegter Kinder- und Jugendcast von Ursina Lardi in der Rolle der 14-jährigen Lisa, die im Rollstuhl sitzt und Aljoscha dunkelrosa Liebesbriefe schreibt. Striesow spielt den Novizen als schüchternen Zeitgenossen mit Slapstick-Neigung, der von derartigen Bekenntnissen übertölpelt wird. Während sich Lardi in ihrem quietschrosafarbenen Minikleid vom schwärmerischen Teenie in die hysterische höhere Tochter hineinschraubt, von dort aus in die böse-lebensangeekelte Wegsucherin aus der Daseinsleere und schließlich wieder zurück zum Teenie.

Thorsten Lensing beweist selbstbewusstes Virtuosentum

Statt elementaren Spiels sieht man über weite Strecken allerdings eher selbstbewusstes Virtuosentum. Die intendierte Suche auf offener Bühne mündet ins Kabinettstück. André Jung brilliert als Hund mit einem tadelsfreien Kommentar zur Dialektik von animalischer Unterwürfigkeit und Aufmüpfigkeit. Die Lacher, die er erntet, als er seinen Kopf mit tierischem Übermut in die zu vorgerückter Stunde angeworfene Kunstschneemaschine steckt, sind für den Abend exemplarisch. Die Akteure treten ähnlich monologinselartig auf, wie der Text strukturiert ist: Jeder spielt mit großem Engagement seinen eigenen Hochkaräter-Stiefel, was man schon sehr mögen muss, um über vier Stunden bei der Stange zu bleiben. So legt sich über den betont minimalistischen Bühnenraum mit Tischen, Stühlen, Paravent und einer großen Kirchenglocke, den Johannes Schütz gebaut hat, weihevolle Kunsterstarrung.

Wieder 13. bis 15.12., 19.30 Uhr

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