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Londons Skyline im Nebel

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Thriller "Dead Lions" von Mick Herron: Aufstand der Aussortierten

London in Angst: In Mick Herrons virtuosem Agententhriller „Dead Lions“ planen russische Ex-Agenten einen Anschlag.

Aufregend ist der Alltag von Spionen vor allem im Kino. James Bond jettet im Auftrag Ihrer Majestät durch die Welt, begleitet von immer neuen Bond-Girls und trinkt zwischendurch Cocktails, geschüttelt, nicht gerührt. Die Wirklichkeit sieht anders aus, grauer. John le Carré, der selbst einige Jahre für den britischen Nachrichtendienst arbeitete, beschreibt in seinen Romanen um den Agenten George Smiley das Spionage- und Gegenspionage-Business als Welt trübgesichtiger Angestellter, die jede Dienstreise mit doppeltem Durchschlag beantragen müssen.

Agenten sind auch nur Bürokraten

Doch Smiley wirkt geradezu glamourös im Vergleich zu den Figuren aus den Agententhrillern von Mick Herron, der bereits jetzt als würdiger Nachfolger von le Carré gelten darf. Ihr Anführer Jackson Lamb trägt Anzüge, die aussehen, als ob er mehrere Nächte in ihnen unter freiem Himmel übernachtet hätte. Er leitet eine Spezialeinheit, deren Mitglieder „Slow Horses“ genannt werden, weil sie im Slough House im Londoner Stadtteil Finsbury untergebracht sind. Es sind Aussortierte, die aus Regent’s Park, dem Hauptsitz des Inlandsgeheimdienstes MI5 verbannt wurden, weil sie Alkoholiker sind oder Geheimdossiers in der U-Bahn liegen gelassen haben. Nun sollen sie so lange sinnlose Büroarbeit erledigen – etwa: Daten aus Verkehrsdelikten archivieren –, bis sie kündigen.

Sammelbecken der Versager

Der gefährlichste Gegner stammt immer aus den eigenen Reihen, das ist bei Herron nicht anders als bei le Carré. In „Slow Horses“, dem grandiosen Auftakt der Reihe, entpuppte sich die Entführung eines muslimischen Jugendlichen durch rechtsradikale Terroristen als Medieninszenierung, mit deren Hilfe die Vizechefin des Dienstes, zur Chefin aufsteigen wollte. In „Dead Lions“, dem zweiten ins Deutsche übersetzten Fall, bekommen es die Slow Horses mit „Cicadas“ zu tun, ehemaligen Sowjetagenten aus der Zeit des Kalten Kriegs, die sich wie Zikaden in einer Vorstadt eingegraben haben, um auf einen Befehl hin noch einmal loszuschlagen. Ziel ist „the Needle“, ein 320 Meter hoher Wolkenkratzer, der durch eine 9/11-artige Attacke vernichtet werden soll.

Zikaden graben sich ein

Am Anfang wird ein Mann in einem Zug von einem russischen Schläfer mit dem Regenschirm getötet, per Kontaktgift. Ein ähnlicher Anschlag auf den früheren Spion Sergej Skripal verunsicherte 2018 Großbritannien. Aber im Original ist „Dead Lions“ schon 2013 erschienen. Einer von Herrons Verlierer-Helden hat le Carrés gesammelte Werke von seinem Großvater geschenkt bekommen, der einst ein hohes Tier im MI5 war. „Erfundene Geschichten“, sagt der Veteran. „Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht wahr sind“ (Mick Herron: Dead Lions. Ein Fall für Jackson Lamb. Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Diogenes, Zürich 2018. 478 Seiten, 24 €).

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